piwik no script img

Sprecht meine Sprache

■ Mit ihrer Nerve-Bible-Performance eröffnet Laurie Anderson den West Port

In gar nicht mal so ferner Zukunft wird man es beurteilen können. Wenn man sich dann, etwa im Jahr 2020, fragen wird, ob die Heerscharen der Künstler, die am Ende des 20. Jahrhunderts, von Medienkonzernen gesponsert, Kunst via neuer Medien inszenierten, nur den ökonomischen Siegeszug ihrer Geldgeber vorbereiteten oder aber auf die kalten Visonen der Techniker tatsächlich Einfluß nehmen konnten, dann wird gewiß auch der geschichtsmächtige Einsatz von Laurie Anderson beurteilt werden. Von heute aus läßt sich Laurie Anderson als eine technikversessene Grenzgängerin zwischen Medien und Genres beschreiben. In dieser Zwischenwelt ist sie manchmal selbst überrascht, was entsteht, wenn sie „etwas als Kartoffeldruck beginnt und es beispielsweise als Oper enden läßt.“

Jetzt tritt Laurie Anderson mit einem aus drei Medien bestehenden, sich gegenseitig vielfach bedingenden Paket an. Ihr bereits drittes Buch Stories From The Nerve Bible ist eine Art künstlerische Autobiographie, die ihre letzten 20 Jahre Revue passieren läßt. „Und obwohl das Buch nicht direkt etwas mit meiner Kindheit zu tun hat“, meint Anderson, „habe ich einige altbekannte Themen wiedergefunden: Besessenheit gegenüber der Zeit und auch Angst vor hohen Zahlen.“ Auf ihrer aktuellen Platte Bright Red bewegt sie diese immer wiederkehrenden Themen etwa in Stücken wie „Same Time Tomorrow“, das durch das Geräusch der Uhr am Videorekorder getaktet wird. Es scheint aber so, und das verschweigt sie in ihrer Äußerung, daß die Beschäftigung mit ihrem Lebenslauf eine sehr persönliche Platte bewirkt hat.

Selbst wenn man nicht vergessen sollte, daß die Figuren, die in den Stücken der Theaterautorin sprechen, Charaktere sind, die sich nicht unbedingt auf ihre Psyche zurückführen lassen, so scheinen doch Stücke wie „Speak My Language“ in Anlehnung an Kafkas Brief an den Vater abgefaßt. Wenn es dann heißt „It was just like you said“, wird dem Daddy erstmal Tribut gezollt, um ihn dann aufzufordern, doch die eigene Sprache zu sprechen. Der Tod des Vater wird dann in „World Without End“ mit dem Brand einer Bibliothek verglichen. Kindheit und Traumwelten, Zeit und Zahlen – das sind die Themen von Laurie Anderson. In Töne versetzt wurden ihre diesmal ziemlich reduzierten Texte von dem Bassisten Greg Cohen, Guy Klucevsek am Akkordeon, Joey Baron am Schlagzeug und Cyro Baptista an den Bambushölzern. Die Verbindung von sehr alten Schlaginstrumenten und modernster Technik (Auszüge aus Big Red kann man etwa über das „Internet Underground Music Archive“ abrufen und verändern) erklärt sich wohl durch die Zusammenarbeit mit Brian Eno als Co-Produzenten. Dadurch erfährt die intime Thematik auch musikalisch eine ebenso organische wie historisierende Ergänzung. Live wird sie zum ersten Mal eine Performance aufführen, die aus der Theaterarbeit am Frankfurter Theater im Turm als work-in-progress enstand. Auf diverse Leinwände werden Filme projiziert. Daneben wird sie über ihre Körperbewegungen eine Animation in Gang halten, die sie zuvor auf einem Quadra Computer programmiert hat.

An diese spektakuläre Eröffnung des West Ports schließen die zeitgenössischen Klassik-Eklektiker Kronos Quartet und Incognito mit Funk&Soul an. Am Mittwoch kann man sich zwischen dem Saxophonisten Jan Gabarek als fünfte Stimme des Hilliard Ensembles oder George Benson entscheiden, der mit seiner Electric Band seine Fahigkeiten als Grenzgänger unter Beweis stellen wird.

Volker Marquardt Laurie Anderson : Sa, 1. 7., Musikhalle, 20 Uhr / Kronos Quar-tet: So, 2. 7., St. Johanniskirche, 21 Uhr / Incognito : Di, 4. 7., Medien-bunker, 21 Uhr / Jan Gabarek & The Hilliard Ensemble :, Mi, 5. 7., Michel, 20 Uhr sowie George Benson : Mi, 5. 7., Musikhalle, 21 Uhr. Die weiteren Termine der West-Port-Konzerte sind dem nächsten Querschnitt zu entnehmen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen