Sportplatz: Stimmungsboykott gegen den Brauseverein
Beim Spiel gegen RB Leipzig wirken die Kicker von Union Berlin völlig überfordert. Hartgesottenen Union-Fans ist das egal
„Wenn Union Berlin gegen RB Leipzig spielt, dann ist das purer Hass“, sagt Pascal. Gerade hat seine Berliner Mannschaft mit 3:0 beim Tabellenführer verloren. Der 23-Jährige fährt mit einer Mitfahrgelegenheit nach Hause, in der es natürlich nur ein Thema gibt: Fußball. Es ist schon erstaunlich, wie viel Gesprächsstoff das Spiel um das runde Leder bei einer Fahrt von Leipzig nach Berlin bieten kann. Da wären Themen, wie die reformierte Fußball-EM (Wer will in der Vorrunde schon Rumänien gegen Albanien sehen?). Oder der Traumsturm des FC Valencia in den 2000ern (u. a. mit David Villa). Und und und.
Nur ein Punkt ist schnell abgehakt – die vorangegangenen 90 Minuten der Unioner Mannschaft in Leipzig. Das hängt wohl damit zusammen, dass die Köpenicker von Beginn an völlig überfordert wirkten und sich schon früh ihrem Schicksal beugten. Und das gegen den ach so verhassten Brauseverein, wie es im Fanjargon heißt. In einem Spiel, das, wie Union-Coach Sascha Lewandowski später anmerkt, „für unsere Fans enorm wichtig ist. Da möchte man anders Paroli bieten.“
Paroli geboten haben eigentlich nur die Union-Fans, die ihr Team so enthusiastisch unterstützen, als stünde es gegen das RB-Leipzig-Millionenensemble vor der großen Sensation. Für den harten Kern der Fans, der sich unter dem Synonym Wuhlesyndikat zusammenfindet, ist RB Leipzig nichts anderes als ein lebloses, künstlich erstelltes Marketingprodukt. Fußballkommerz in Reinform, der endgültige Zerstörer der einst so großen Leipziger Kicker-Kultur. Aus der Heldenstadt kam mit dem VfB 1903 der erste Deutsche Fußballmeister. Auf einer Autobahnbrücke 40 Kilometer vor Leipzig haben Sprayer ebendies für die Nachwelt festgehalten.
Daneben gibt es noch Lok Leipzig und Chemie Leipzig. Zwei Traditionsvereine, die sich seit vielen Jahren in den unscheinbaren Niederungen des Amateurfußballs abarbeiten. Es gibt Leipziger Lokalreporter, die das schade finden, die bedauern, dass nun RB Leipzig alles überstrahlt, allen die Aufmerksamkeit stiehlt. Ähnlich denkt das Wuhlesyndikat, das deshalb zum Stimmungsboykott aufgerufen hat. 15 Minuten lang bleiben 4.300 Berliner dem Spiel fern, sie warten im Innenbereich des Stadions. Als sie auf der Tribüne Platz nehmen, knallt es zweimal laut zwischen den Sitzschalen. Auf die Pyrotechnik folgt ein gellendes Pfeifkonzert des bis dahin gut gelaunten Leipziger Publikums. Die Berliner freut’s. Jetzt geht’s los. „Wir“ gegen „die“, Gut gegen Böse, Tradition gegen Moderne.
Wer „die“ sind, das ist klar. Wer das „Wir“ ist, wollen am liebsten die hartgesottenen Unioner definieren. Diejenigen, die gefühlt alle in Köpenick groß geworden sind, für die allwöchentlich nur die rot-weiße Fahne zählt.
„Wir“, das sind aber auch Menschen wie Pascal. Er sagt über sich: „Ich bin Berlin-Fan, gehe auch gerne mal zur Hertha oder den Eisbären.“ Am liebsten schaut er natürlich Fußball, am allerliebsten Union, aber eigentlich besucht er ganz gerne viele, möglichst interessante Spiele. Vor Kurzem war er in Hamburg, HSV gegen Köln angucken („Da war keene Stimmung, nüscht“). Und er hat auch schon Spiele bei RB Leipzig besucht, mit einem guten Kumpel, der RB-Anhänger ist. Pascal sagt deshalb Sätze wie diesen: „Ich finde, eine Stadt wie Leipzig hat einen großen Verein verdient.“ Dass der RB und nicht Chemie oder Lok heißt, stört ihn kaum.
Vor Menschen wie Pascal fürchten sich die „eisernen“ Traditionalisten. Eventfans, die ihr Lieblingstrikot in etwa so oft wechseln wie ihre Unterwäsche, das geht gar nicht. Menschen, die sich freiwillig entwurzeln, die sich nicht mehr für ihren Verein den Mund heiser schreien wollen. Die den angestauten Frust einer deprimierenden Niederlage nicht mit einem halben Dutzend oder mehr Bier herunter spülen wollen, in der vagen Hoffnung, nächste Woche möge alles besser werden. Diese Zuschauer aber werden immer zahlreicher.
Umso wichtiger sind deshalb für die eingefleischten Union-Fans Teams wie RB Leipzig. Ein vorgeschobenes Feindbild, das dazu dient, die eigenen Reihen möglichst geschlossen zu halten. Mehr Pascals will das Wuhlesyndikat verhindern. Das 0:3 am Freitag ist deshalb egal. Viel wichtiger war es, das „Wir“ zu stärken. Sonst droht irgendwann die Autobahnbrücke.
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