: Spontaner Spaß mit Straßenkunst
Jenseits von Pflicht und Kür: Skateboard-Europacup in Hammerbrook ■ Von Folke Havekost
Langsamer Rap und treibende Bässe dröhnen aus den Boxen. Die Palette reicht von Living in the Fast Lane bis zu sozialkritischen Texten, die den Sprechgesang mit der Etikette belegt haben, das „schwarze CNN“ zu sein. Sonnabend mittag im Industrieviertel Hammerbrook: Im „Skateland“ trainieren die Teilnehmer für den Europacup im Skateboard.
Noch fahren Anfänger und Fortgeschrittene nebeneinander auf die Hindernisse zu, ehe sie in drei Leistungsklassen aufgeteilt werden. Beim Wenden auf den kleinen Rampen touchiert manch Turnschuh den Boden statt wieder aufs Board zu gelangen, das aufs Pflaster zurückrollt.
Solche Mißgeschicke passieren Mehmet Aydin selten. Der 21jährige fährt seit sieben Jahren Skateboard und sieht im akkuraten schwarz-weiß gestreiften Hemd gar nicht so aus, wie die Musik verspricht. Doch auch für ihn gilt die Lifestyle-Attitüde, die die skating community umwebt – mehr als Sport ist Skaten Freizeitkultur. „Ich habe meine Freiheit und kann Dinge tun und lassen, die ich will“, beteuert Mehmet. Nicht gewinnen, sondern „viel Spaß haben“, heißt seine Maxime dementsprechend.
„Straßenkunst“ gar sei Skateboardfahren, meint Richard Löffler, der jede Woche zehn Stunden trainiert – neben der Zeit, in der er das Brett als Fortbewegungsmittel benutzt. Der Charakter des Skateboarders als US-Variante des Bohemiens spiegelt sich auch in den Disziplinen wider. Ein Pflichtprogramm gibt es nicht – das Leben soll schließlich Freistil sein.
Bis ins Detail ausgefeilte Kürprogramme auf den Brettern, die die Freiheit bedeuten, sind auch nicht zu sehen. „Ich fahre einfach drauf los“, setzt Mehmet Aydin auf Spontaneität in der Zusammenstellung der jeweils einminütigen Performances.
„Eigentlich fahren alle dasselbe“, stimmt ihm Sam Harithi zu, „nur manche besser und andere eben nicht so gut“. Der 19jährige Berliner ist neben Mehmet Aydin der einzige, der den 15jährigen zweifachen Vizeweltmeister Fabio Fusco beim Streetstyle, einer Art Hindernisspringen über Treppengelände, gefährden kann. In der Halfpipe, einer großen, halbkreisförmigen Röhre, in der die spektakulärsten Sprünge möglich sind, ist Fabio dagegen unangefochten.
Der Europacup verändert das Bild auf dem Gelände und in der angrenzenden Halle merklich. Normalerweise ist das täglich geöffnete Skateland überwiegend von einer anderen Klientel bevölkert. Die 1993 über den großen Teich gekommenen In-Line-Skates dominieren das Geschehen, weil sie einfacher und hipper sind. Die angeschnallten Rollschuhe bieten – gerade für Neueinsteiger – festeren Halt als das Brett, das sich leicht einmal den Füßen entzieht.
„Eine Modeerscheinung“, betrachtet Mehmet Aydin ganz gelassen die In-Liner, „Roller-Blades gibt es vielleicht noch ein Jahr“. Dann ist wieder das altehrwürdige Brett an der Reihe, glaubt auch Frank Martens, der den täglichen Betrieb des Skateland organisiert und den Europacup ausrichtet. Auf Modemessen in den USA sei die Wende abzusehen: „Die Freizeitindustrie rechnet, daß jeder dritte bald von Inline umsteigt.“
Und auch in der alten Welt geht es voran: Seit 1989 hatten sich keine Veranstalter mehr für den nun wiederbelebten Europacup gefunden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen