: Spirit of Radkurier
■ Eben noch auf der Weltmeisterschaft der Radkuriere in London, jetzt düsen sie wieder durch das schnöde Bremen: 100 Kilometer am Tag und immer im Streß
„Wenn du 'ne Order kriegst, geht der Krieg los, da gibt's gar nix.“ Sie rasen über Schienen und Pflaster, mogeln sich an aufklappenden Autotüren und roten Ampeln vorbei und erklimmen keuchend Chefetagen. Dort stellen sie, in ihren hautengen Radlerhosen schwitzend, eine willkommene Abwechslung mit erotischem Touch in langweiligen Sekretärinnenleben dar, so jedenfalls die Sage. Die Rede ist von Radkurieren. Rund 400 von ihnen aus 15 Ländern trafen sich am vergangenen Wochenende in den Londoner Docklands – zur „Cycle Messenger World Championships 1994“, der zweiten Weltmeisterschaft der Fahrradkuriere. Mit dabei waren sechs Kuriere des Bremer Unternehmens „Sprint“ – „kein Thema, da mußten wir hin“, so Chef Olli Schürmann. Letztes Jahr in Berlin waren sie schon, und nächstes Jahr geht es nach Toronto.
„Das war schon eine tolle Atmosphäre“, sagt Laila Burghardt (21), die sich neben ihrem Chinesisch- und BWL-Studium zweimal in der Woche auf dem Rad „abreagiert“. Und, nebenbei gesagt, den gesamten Osterdeich in zehn Minuten schafft. Der alltägliche Straßenkampf wurde in London allerdings nur simuliert – in die City durften die Kuriere nicht, zu gefährlich. Und bei dem Rennen, in dem Papierpacken (leer) schnellstmöglich über einen Kurs von 15 Kilometern von A nach B transportiert werden mußten, ging es auch so schon wenig zimperlich zu: „Die Frauen waren dermaßen aggressiv, ja! Gleich nach dem Start sind sie mir mit dem Lenker in die Rippen gefahren und haben mir mein ganzes Trikot zerfetzt“, erzählt Laila, „und in einer Kurve haben sie mich fast rausgehauen...“ Nur bei LSD, den „Lickety Split Deliveries“ aus San Francisco, sind die radelnden Frauen nicht weit in der Minderzahl – sie sind die erste rein weibliche Radkurierfirma.
Die Strecke jedenfalls war für alle gleich hart, Stürze nicht selten, und ein Platten ließ Laila vorzeitig ausscheiden. Platz sechs – trotz Platten – erkämpfte sich Lars Urban, und 16. wurde der 18jährige Stjepan Klein, seit zwei Jahren im Geschäft. „Dabei ist das Ganze eben mehr ein Treffen als ein Wettkampf“, sagt er, spricht's und springt auf – das Walkie hat gepiept, ein Auftrag, und weg isser. Dabei ist „ein guter Kurier nicht unbedingt der Schnellste“, findet Chef Olli: Freundlich müsse er oder sie sein, nicht jede zweite Hausnummer vergessen, Tarife im Kopf haben und die Papiere ordentlich ausfüllen. Das stand in London zwar nicht auf dem Prüfstand, dafür aber die Kunst, ein Auto auf dem Fahrrad zu überwinden – abends, im Showprogramm, just for fun, und darum ging es schließlich.
Die Story vom wilden und aufregenden Leben der underdogs im Straßendschungel beschreibt die Arbeit der Bremer Radkuriere unzutreffend, milde ausgedrückt: „Je mehr Autos stehen und uns vollpesten, desto öfter müssen wir halt raus“, sagt Olli. Und im Vergleich zum Kampf in London oder New York „ist Bremen das Paradies“. Die Bremer Banken haben vor einem Jahr noch blöde geguckt, wegen der kurzen Hosen, aber auch das hat sich gelegt. Und die BremerInnen „nehmen eigentlich auch Rücksicht“, findet Laila. Doch was die Radkuriere am meisten ärgert, sind die natürlichen Todfeinde – die Autofahrer: „Die raffen einfach nicht, daß sie in einem Mordinstrument sitzen.“ Beschimpfungen und Drohungen sind schon an der Tagesordnung, erst neulich hat ein Autofahrer einen Kurier regelrecht gejagt.
Geschichten aus der Großstadt haben sie sich erzählt in London, die Kuriere aus Denver, Dublin, Barcelona, Toronto, Afghanistan und anderswo, und Geld gesammelt – für ein Radprojekt mit Jugendlichen in Kabul. Bis zum nächsten Subunternehmertreffen, denn das sind die meisten Radkuriere, werden die BremerInnen noch so manchen Kilometer abreißen: so hundert am Tag. Und immer im Streß. Wie gesagt, wenn die Order kommt, geht der Krieg los. Selbst in Bremen. skai
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