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Spiel, Satz und Tod

Das faule Königreich Dänemark sieht aus wie ein Treibhaus, eine Zuchtanstalt von Nachtschatten, und Hamlet ist ein sprachlich bis zur Kenntlichkeit skelettierter Verzweiflungsspieler: Der österreichische Regisseur Martin Kušej hat einen fulminanten Shakespeare für die Salzburger Festspiele inszeniert

von JÜRGEN BERGER

Salzburg liegt in Österreich, was zurzeit auch bedeutet, dass der Besucher instinktiv Ausschau hält, ob hier was haidert und sich das restaurative Klima niederschlägt. Aber solange Theatermacher wie Frank Baumbauer sich quer zum alpenländischen Zeitgeist legen, kann nicht alles verloren sein. Der Leiter des Schauspielprogramms der Salzburger Festspiele hat zum Auftakt Frank Castorf geholt, auf dass er den Österreichern in einer Koproduktion mit der Berliner Volksbühne die Piefke-Version von Tennessee Williams’ „Endstation Sehnsucht“ serviere.

Als zweite Schauspielpremiere gab es, worauf jedes Festspielpublikum scharf ist: „Hamlet“. Gespielt zirka zehn Kilometer entfernt von Salzburg, in Hallein, wo Festspielbesucher fürsorglich mit Blasmusik eingemeindet werden. Das mit den Blechbläsern ist immer so und könnte unter anderem dafür verantwortlich sein, dass Martin Kušej schreibt, hin und wieder stelle er einen Fluchtreflex bei sich fest. Der österreichische Regisseur kann zurzeit allerdings schon deshalb nicht einfach verschwinden, weil er seinen Inszenierungsschwerpunkt ans Wiener Burgtheater verlegt hat. Zum derzeit interessantesten Vertreter einer bildmächtigen, trotzdem aber textnahen Regie wurde er vor allem durch seine Arbeiten am Staatstheater Stuttgart, mit Inszenierungen wie von Sarah Kanes „Gesäubert“. Die Stuttgart-Salzburger Koproduktion des „Hamlet“ ist gleichzeitig vorläufiger Höhepunkt und Zäsur für ihn. Schon spekuliert die Branche, welches Theater er wohl demnächst leiten wird. Er allerdings konzentriert sich auf seine Inszenierungsarbeit, zu der unabdingbar Martin Zehetgrubers Bühnenbilder gehören.

Im Falle des „Hamlet“ bedeutet das, dass das faule Königreich Dänemark als riesiges Treibhaus auf der Hallein-Spielstätte steht. Eine fabrikähnliche Nachtschatten-Zuchtanstalt, um die zu Beginn unbewegte Ritterrüstungen Spalier stehen. Sobald die Festung in Gefahr zu sein scheint, gehen die Rüstungen in Angriffsstellung. Ein phänomenales Bild für den faulen Staat Dänemark, den sich Fortinbras gleich zu Beginn schon mal kurz anschaut. Da inspiziert einer die reife Frucht, die ihm am Ende in den Schoß fällt. Es ist eines der Beispiele für Kušejs prägnante Eingriffe in die Textabfolge und seine Bildfindungen. Denn Fortinbras ist eine Frau und wird von Judith Engel gespielt. Am Ende kommt sie im Badeanzug und räkelt sich wohlig im inzwischen styroporweißen Inneren des königlichen Treibhauses. Eine modebewusste Sommerfrischlerin, die davon profitiert, dass die anderen Mist gebaut haben.

Wer an Haider denkt, ist selbst schuld. Und wer sich angesichts Kušejs Entscheidung für Heiner Müllers „Hamlet“-Übersetzung nach romantischeren zurücksehnt, ebenfalls. Müller bringt emotionale und politische Zusammenhänge im Text derart auf den Punkt, dass man die Motive der Akteure – und vor allem die des Hamlet – deutlich wie nie zu hören meint. Gleich zu Beginn des Seins-Monologs stockt er. Dann öffnet sich der Boden des Treibhauses, bis er verloren auf einer kleinen Planke steht. In den Schlaf-Traum-Passagen hört man einen zur Kenntlichkeit skelettierten Hamlet, dem sprachlich die Haut abgezogen und überflüssiges Fleisch weggeschnitten wurde. Samuel Weiss macht daraus einen eiskalt brennenden Dänenprinzen auf dem Weg in die Abgründe des eigenen Hirns. Er ist alles andere als ein Zauderer, eher ein Verzweiflungsspieler. Lange steht er in die eigene Imagination verstrickt, isoliert, und sieht regungslos zu, während die Mitglieder des Hofstaats wie Travolta-Klone aus dem Nachtschatten-Hain auftauchen und sich im Tontaubenschießen üben. An der Spitze hat der dänische Staat allerdings nicht nur ein menschliches, sondern auch ein inszenatorisches Problem: Claudius und Gertrud sind nicht überzeugend in Szene gesetzt.

Johanna Wokalek dagegen ist eine Ophelia, die zuerst beim Spiel gesellschaftlicher Prostitution mitspielen, sich am Ende aber den eigenen Wahnsinn aus dem Leib singen möchte. Zu diesem Zeitpunkt hat Hamlet bereits Polonius niedergemäht, Rosenkranz und Güldenstern exekutiert und Werner Wölbern die Schauspielszene des „Hamlet“ als Wahnsinns-Slapstick vorgeführt. Wölbern überzeugt als Multiwunderwaffe: Er ist gleichzeitig Vatergeist, kurz der ansonsten ersatzlos gestrichene Hamlet-Freund Horatio, Totengräber und Yorick, der eigentlich nur in einer kurzen Bemerkung Hamlets vorkommt. Am Ende führt er mit Weiss in der Totengräberszene ins Zentrum von Kušejs „Hamlet“. Aus dem Treibhaus der Nachtschattengewächse ist eine Halle mit styroporgefüllten Kartons geworden, die zur Leichenentsorgung taugen. Wölbern und Weiss schaufeln Gräber, ziehen sich gegenseitig in die Tiefe und zeigen: Alles ist Spiel, wenngleich ein tödliches.

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