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Spiegelgefechte

■ „Kokain — Die Europa Connection“, Di., 21 Uhr, 3Sat

Wie jede Illustrierten-Story zeigt auch diese Dokumentation gleich am Anfang wie es gemacht wird: Auf einem Spiegel ein bißchen Pulver mit der Rasierklinge häckseln, es in Linien-Form verteilen und dann — jetzt nur nicht niesen wie Woody Allen — mit einem Röhrchen ab in die Nase damit. Zu diesen Bildern aus dem Off Zahlen und Fakten: Kokain ist auf dem Vormarsch, „300 Tonnen“ liegen in Südamerika für den europäischen Markt bereit, vor zehn Jahren warnte die UNO vor einer Koks-Überschwemmung Europas, aber niemand wollte hören, und jetzt ist die „Flut“ da. Diese Botschaft kommt noch des öfteren im Verlauf der Dokumentation: Alle wußten es, keiner wollte es und doch ist es passiert. Wie dies?

Auf diese spannende Frage gab es im ersten Teil (der zweite Teil folgt am kommenden Dienstag) keinerlei Antwort, außer der, daß die internationale Fahndung sehr erschwert wird, weil diese raffinierten Drogen- Mafiosi doch tatsächlich in verschiedenen Städten verschiedene Namen benutzen.

Wer hätte das gedacht? Oder geahnt, daß die Koks-Kartelle in Medellin und Cali straff und paramilitärisch organisiert sind, daß sie sich immer phantastischere Schmuggelmethoden einfallen lassen und daß es der europäischen Polizei schwerfällt z.B. eine 1000 Kilometer lange Küste wie die Spaniens so systematisch zu bewachen, daß kein Kilo-Päckchen ans Festland kommt? Irgendwann gegen Ende der Sendung sagt der Zolldirektor des Madrider Flughafens: „Wir werden immer besser, stellen immer mehr sicher, aber die Gegenseite ist uns immer einen Schritt voraus.“ Und auch der Kokain-Experte des BKA scheint im Geheimen zu ahnen, was diese Sendung unfreiwillig zeigt: daß die polizeiliche Drogenbekämpfung im Grunde lächerlich ist.

„Das Beste wäre, den Ganoven das Geld abzujagen“, meint der Kriminaldirektor. Zu diesem, dem eigentlichen Knackpunkt des Drogengeschäfts, erfährt man in den 45 Minuten nur einen, freilich wichtigen Satz: Daß nämlich die Anfang der 80er Jahre verfaßte UNO-Drogenkonvention bis heute von den wenigsten Staaten ratifiziert wurde, weil dies eine strenge Kapital- und Chemie-Kontrolle bedeuten würde.

Die Fortsetzung dieses Gedankens allerdings fehlte: daß sich in dieser Hinsicht die kolumbianischen Koks-Barone auf den europäischen Kapital- und Industrie-Adel voll verlassen können und Geldwäsche auch in Zukunft kein größeres Problem darstellen wird. Daß also dieser ganze Krieg gegen Rauschgift, das „Keine Macht den Drogen“-Gejammer eine üble Propaganda-Farce ist, solange nicht jede größere Bankeinzahlung deklariert werden muß und solange die deutsche Großchemie die Grundstoffe zur Kokain-und Heroin- Herstellung liefert und liefert und liefert.

Und so lieferte diese Dokumentation eines der üblichen Spiegelgefechte der medialen Drogen-Aufbereitung: die bösen Betrüger (Kokain- Kartelle), die armen Betrogenen (Coca-Bauern und Konsumenten), die hilflosen Ritter (Polizei und Justiz) — und kein Sterbenswörtchen über die Grundursache dieses Dramas, die andere Seite des Spiegels, ohne die das ganze Problem nie gelöst werden kann: die Nachfrage. „250 Millionen potentielle Konsumenten in Europa“, wie kommt's, daß ihnen allen die Nase nach Kokain steht?

So lange nicht hier, an den Wurzeln der Ekstase angesetzt wird, so lange den ekstasehungrigen Massen keine verträglichen Alternativen zur Abfahrt und Entspannung geboten werden, so lange werden sie auf die teuflisch erfrischenden Koks-Dröhung schwören wie die Oma auf Jacobs Krönung. Und wir werden weiter Dokumentationen über uns ergehen lassen, die mit viel Aufwand im Original nachfilmen, was „Miami Vice“ schon immer aus dem Studio präsentierte. mbr

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