: Spezialisten fürs Groteske
■ Maly Theater aus Petersburg gastiert mit „Gaudeamus“ im Thalia-Theater
Da lacht der Revanchist. Oder was soll man sonst erwarten, wenn das Gastspiel einer russischen Theatergruppe mit einem Stück über ein sowjetisches Baubataillon angekündigt wird? Schön gemütlich im Theatersessel zurechtgelümmelt, so denkt man, bekommt die geneigte Zuschauerschaft wohlfeil serviert, was sie eh schon weiß. Daß es die glorreiche Rote Armee mit den Menschenrechten nicht gar so genau nahm beispielsweise. Und daß auch sonst in den Weiten des sowjetischen Imperiums nicht alles zum Besten bestellt war.
Aber falsch gedacht. Das, was das St. Petersburger Maly Theater unter dem Titel Gaudeamus nach einer Erzählung von Sergej Kaledin noch bis Sonntag im Thalia Theater aufführt, ist etwas ganz anderes. Furios ist es, irrlichternd und gekonnt. Natürlich ist Rußland dort, wo sich einige der Bausoldaten die meiste Zeit zur Strafe aufhalten: in der Scheiße. Aber die Art und Weise, in der dies in diesem schwarzen, engen Kasten von Bühne, auf dieser schrägen, schneeweißen Fläche gezeigt wird, überholt die Aussage der Lockerheit.
Hin und Her geschüttelt wird der Zuschauer, bis ihm ganz schwindlig wird. Da gibt es Szenen, als ob Charlie Chaplin nicht den Film Der große Diktator gedreht hätte, sondern einen namens „Die große Armee“. Bis zur Kenntlichkeit wird in den Bildern die Absurdität der alltäglichen Menschenabrichtung qua Exerzierreglement verzerrt. Und es gibt Szenen, in denen ist Schluß mit lustig. Die sind so dreckig, delirierend, frauenfeindlich (wiewohl bestimmt nicht männerfreundlich) und brutal, wie das Kasernenleben ganz unten nur sein kann. Und dann wieder, ab und zu, leuchtet die russische Seele durch diesen ganzen Mist, der das Leben ist, hindurch wie ein einzelner Stern in einer wolkenzerfetzten Nacht.
Ein Abgrund, das sind diese aus Improvisationen hervorgegangenen und von Lev Dodin arrangierten Szenen. Aber ein Abgrund, in den man gerne hineinsieht. Und aus dem man merkwürdigerweise gestärkt und gutgelaunt herauskommt. Die Groteske war eben schon von jeher eine russische Domäne. Und: –the method', die Lehre des forcierten, ganz im Dargestellten aufgehenden Spiels, hat ihre Wurzeln bei Stanislawski. Das Maly Theater spielt jedenfalls, als wolle es das Living Theatre in Grund und Boden rammen.
Und was die Schauspieler alles können! Eben sah man sie noch als tumbe Rekruten, da tänzeln sie wenig später auch schon mit der alleranmutigsten Grazie über die Bühne. Schließlich verwandelt sich das Ensemble sogar noch in einen glockenklar singenden Chor. Die Untertitelung des auf russisch gespielten Stücks wäre nicht nötig gewesen. Es stand schon alles in die Gesichter und Körper der Schauspieler geschrieben. Dirk Knipphals heute und Sa: 20 Uhr,So: 18 Uhr
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen