piwik no script img

Sperrfeuer im NUKEM-Ausschuß

CDU und FDP wehren sich dagegen, schnell die Unterlagen für die Ermittlungen des Bonner Atom-Skandal-Ausschusses heranzuziehen / In Lübeck Akten über Atomtransporte vernichtet?  ■ Aus Bonn Charlotte Wiedemann

Kaum hat der Bonner Untersuchungsausschuß zum Atomskandal seine Arbeit aufgenommen, droht er schon das Schicksal seines Pendants „U-Boot-Ausschuß“ zu teilen: bei seiner ersten Sitzung mußte sich das Gremium gestern im Streit vertagen, weil zwischen Regierungsparteien und Opposition keine Einigung über die Beiziehung von Akten zustande kam. Grüne und SPD wollen möglichst schnell alle Unterlagen zur Verfü gung haben, die zur Aufhellung der Vorgänge in den Hanauer Betrieben nötig sind. Die Ausschuß- Vorsitzende Ingrid Matthäus- Meier (SPD): „Wie sollen wir den Verdacht auf Bruch des Atomwaffensperrvertrags klären, wenn wir nicht einmal wissen: Wer hat wen bestochen?“ CDU und FDP ziehen sich hingegen formal darauf zurück, die Beiziehung derart umfangreicher Akten sei für die Untersuchung des Proliferationsverdachts nicht nötig und nicht zulässig. Selbst auf einen Kompromiß vorschlag, der nur die Akten der Bundesministerien, der Hanauer Staatsanwaltschaft und der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt umfaßt, wollten sie sich gestern nicht einlassen. Schily: „Die CDU verbarrikadiert sich hinter einem Stacheldrahtverhau von Verfahrensfragen.“

Bereits am Vortag hatten die Regierungsparteien den Verdacht genährt, die Arbeit des Ausschusses verschleppen zu wollen: sie beantragten eine verfassungsrechtliche Überprüfung des Untersuchungsauftrags, der dem Ausschuß nach dem Willen der SPD zugrunde liegt, obwohl ein höchstrichterliches Urteil dies für nicht zulässig erklärt hat. Mit dem „Sperrfeuer von Verfahrenstricks“ (Schily) machen sich CDU und FDP den Umstand zunutze, daß dem Ausschuß vom Bundestag sowohl der weitergefaßte Katalog der SPD als auch der engere der Regierungsparteien zugewiesen wurde.

Nachdem bereits im Lübecker Hafenamt nach Informationen der örtlichen Grünen sämtliche Unterlagen über Nukleartransporte bis 1985 vernichtet wurden, befürchtet Otto Schily weitere Verdunklungsmaßnahmen, wenn der Ausschuß nicht die Akten zügig in die Hände bekommt – ein Verdacht, den die Ausschußvorsitzende teilt: „Bei der kriminellen Energie in diesem Bereich ist es klar, daß Akten verschwinden können.“ Der CDU-Obmann Dr. Langner sieht dafür hingegen „keine Anhaltspunkte“. Der Ausschuß einigte sich nur auf die baldige Anhörung der Hanauer Staatsanwaltschaft und verschiedener Sachverständiger zur Spaltstoff-Kontrolle. Zur Klärung des Akten-Streits tritt er heute erneut zusammen. Vorerst hält im Ausschuß ein Bündnis zwischen SPD und Grünen gegen den Hauptfeind im Regierungslager. Schily lobte die Haltung der Sozialdemokraten, die sich dem Akten-Antrag der Grünen angeschlossen hatten, als „außerordentlich fair“.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen