Spanien stoppt Flüchtende in Dakar: Die Señores in Senegal
Spanien hat vor Jahren die Atlantikroute geschlossen, seine Küstenwache kontrolliert in Dakar Flüchtende aus Westafrika. Noch.
Es bietet einen prachtvollen Blick über die keilförmige Halbinsel am westlichsten Punkt des afrikanischen Festlands. Im Osten die einstige Sklaveninsel Gorée, auf der anderen Seite das Botschaftsviertel, Palmengärten, die Strandpromenade Corniche, das Mahnmal der afrikanischen Renaissance, etwas weiter der Leuchtturm von Marmelles und dahinter nur noch das Meer: tiefblau, still und im Dunst verschwindend. 1.500 Kilometer weiter liegen die Kanarischen Inseln. Und deswegen ist Bodi hier.
Er ist einer von einem guten Dutzend spanischer Grenzschützer, die seit über zehn Jahren in dem westafrikanischen Land stationiert sind. Es ist die älteste Mission der EU-Grenzschutzagentur Frontex, benannt nach der griechischen Göttin Hera. Und wenn man Frontex-Maßstäbe anlegt, die mit Abstand erfolgreichste. 2006 gelangten 31.600 Menschen aus Westafrika auf die Kanarischen Inseln. „Eine große Lawine war das“, sagt Bodis Vorgesetzter. Spanien schloss mit den Regierungen von Mauretanien und Senegal Verträge. Bodis Vorgänger durften kommen und im Senegal Migranten verfolgen, fast so, als sei dies hier ihr eigenes Land. Ab 2009 war die sogenannte Atlantikroute zu. Fast kein Afrikaner kam mehr von Senegal aus zu den Kanaren durch. Bis vor acht Wochen.
Bodi fährt durch das Tor des Marinestützpunkts von Dakar. Am Eingang stehen zwei Soldaten, die müde die Hand zum Gruß heben, auf der linken Seite, in einem sandgelben Gebäude, ist das Lagezentrum, Bodis Arbeitsplatz. Die Straße schlängelt sich an den Kaimauern entlang, an denen graue Marineschiffe liegen wie schlafende Tiere. „Alles Schrott“, sagt Bodi. „Die funktionieren fast alle nicht mehr.“ Die Senegalesen hätten nur eine Hand voll einsatzfähiger Schiffe. „Und die haben natürlich die Europäer bezahlt.“
Offiziell werden die Senegalesen nur unterstützt
Am Ende der Kaistraße liegen die beiden Schiffe der Guardia Civil, Typ Rodman 101, 31 Meter lang, 1.500 PS, Nachtsichtgeräte, Infrarotkameras, moderne Radarsensoren, je zehn Mann Besatzung, Höchstgeschwindigkeit 64 Stundenkilometer. Jede Nacht fahren sie hinaus, unterstützt von einem Helikopter, den die Spanier auf dem Flughafen von Dakar stationiert haben.
„Mit den Senegalesen beobachten wir die Boote, die in Richtung Kanaren fahren. Wir halten sie auf und bringen sie zurück“, sagt Bodi. Er geht auf die Brücke, zeigt die Monitore der Wärmebildkameras. „Die Boote der Illegalen sieht man nicht auf dem Radar.“
Offiziell unterstützen die Spanier die Senegalesen nur. Tatsächlich „entscheiden wir, wohin wir fahren und welche Schiffe kontrolliert werden. Die Senegalesen führen das dann aus“, sagt Bodi. Die Arbeit sei „präventiv“, sagt er. „Die sollen wissen, dass wir hier sind, und gar nicht erst losfahren.“
Spanien war das erste Land der EU, in das im letzten Jahrzehnt in größerer Zahl irreguläre MigrantInnen aus Afrika kamen. Und es war das erste, das auf die Idee kam, den Transitstaaten mehr Entwicklungshilfe zu geben, um diese zu blockieren. Mit seinem „Plan África“ ab 2004 vervierfachte Spanien seine Hilfsgelder in Westafrika. „Wir glauben, dass es sinnvoll ist, die Aufstockung der Entwicklungshilfe an die Ausarbeitung von Migrationsabkommen zu koppeln“, sagte der damalige Justizminister Juan Fernando López Aguilar.
Migration Control: Auf einer eigenen Webseite hat die taz eine umfassende Dokumentation der EU-Migrationskontrolle in Afrika erstellt: taz.de/migcontrol mit Länderreports, Hintergrundtexten und Originaldokumenten. Fünf Monate lang wurde dafür in 21 Ländern recherchiert. Die Seite ist auch auf Englisch und in Kürze auf Französisch verfügbar.
taz-Serie: Vom 17. November bis 15. Dezember 2016 wurden Recherchen wöchentlich in der taz veröffentlicht, am 16. Dezember folgte ein taz-Dossier mit den wichtigsten Ergebnissen. Weitere Reportagen erschienen in der taz.am wochenende am 17. Dezember und am 28. Januar 2017. Auch ein Jahr später verfolgen wir die Entwicklungen weiter und treten in eine erneute Serie von Beiträgen zur europäischen Migrationskontrolle auf dem afrikanischen Kontinent ein.
Spanien ging geräuschlos vor
Eine vergleichbare Kooperation, bei dem ein Nicht-EU-Staat europäischen Grenzpolizisten in diesem Maß faktische Hoheitsrechte einräumt, gibt es nirgendwo sonst. „Spanien hat diese Grenzkontrollen und Rücknahmen von Ländern in Westafrika verlangt und bekommen“, sagt Louis Vimont, einst Generalsekretär des Europäischen Auswärtigen Dienstes EEAS. „Aber es ist dabei sehr geräuschlos vorgegangen, keine öffentlichen Erklärungen, das war das Geheimnis.“ Deswegen sei das Land damals weiter gekommen als die Europäer heute bei ihren Verhandlungen mit anderen afrikanischen Staaten.
Neun Monate im Jahr sind die Spanier allein in Dakar. Von August bis Oktober – der Zeit, in der mit den meisten Überfahrten gerechnet wird – schickt Frontex Schiffe und Flugzeuge aus anderen EU-Staaten zur Unterstützung.
Die Präsenz von Bodi und seinen Leuten habe dazu geführt, dass Senegalesen, die nach Europa wollen, zuletzt meist den lebensgefährlichen Weg durch die Sahara, über Libyen und das Mittelmeer gewählt haben. 5.700 Senegalesen sind auf diese Weise von Januar bis Oktober in Italien angekommen.
„Leben retten, darum geht es hier vor allem“, behauptet Bodis Chef, der Kommandant Raffael Carvallo Abegar in Dakar. Die Überwachung fange nicht erst auf See an, sondern schon an Land. Dort suche die Polizei nach Schleppern und Menschen, die die Überfahrt planen. „Die arbeiten mit dem spanischen Geheimdienst zusammen.“
Fünf Boote in acht Wochen
Ihr Glück sei, dass Senegal und Mauretanien „sehr stabil sind, mit den Regierungen kann man gut zusammenarbeiten“, sagt Abegar. Dakar, die Metropole Westafrikas, vier Flugstunden südlich des Mittelmeers, sei „natürlich eine Grenze Europas“, sagt Abegar. „Wenn diese Route wieder aufgeht, kämen Tausende erneut nach Europa.“ Genau das befürchten die spanischen Grenzschützer jetzt.
Bodi zeigt die Bilder, die ihm seine Kollegen vor Mauretanien geschickt haben: zwei Holzboote, völlig überfüllt mit über 100 Afrikanern, gestartet wohl in Gambia. Insgesamt fünf Boote mit etwa 200 Menschen haben es seit Oktober 2017 bis in die spanischen Gewässer geschafft. Fünf Boote in acht Wochen, nach sieben Jahren, in denen es den Spaniern gelungen war, die Route fast komplett dicht zu halten. „Das hat natürlich mit der Situation in Libyen und Niger zu tun. Die Route dort wird jetzt besser kontrolliert, also versuchen wieder mehr Menschen, hier über das Meer zu kommen“, sagt Abegar. Für ihn ist klar, dass er hier bald mehr zu tun bekommen wird. „Wir bleiben hier.“
Hann ist eine der vielen Vorstädte von Dakar, eine halbe Autostunde nördlich vom Zentrum. Am Morgen sind die Fischer vom Meer zurückgekehrt, Hunderte Pirogen liegen hier jetzt bunt bemalt, aufgereiht, als wollten sie zu einer Parade in See stechen. In ihrem Schatten sitzen Männer, Frauen, Kinder, sie kochen, flicken Netze, trinken Tee.
Hann ist der Strand, von dem 2006 fast alle Boote in Richtung Spanien ablegten. Die Fischer hier kannten sich besser in den Gewässern aus als irgendwer sonst, und viele verlegten sich auf das Transportgeschäft. Manche verloren ihre Schiffe, manche endeten im Gefängnis. Die Folgen des lange vergangenen Migrationsbooms sind bis heute jeden Tag spürbar.
Fischer müssen blechen
Modiyar ist Sprecher der örtlichen Fischereigewerkschaft. „Die Europäer vermischen die, die arbeiten, und die, die immigrieren wollen“, sagt er. „Sie machen keinen Unterschied zwischen diesen beiden Parteien.“
Auf der Suche nach illegalen Migranten würden die Boote der Fischer jede Nacht kontrolliert. „Mal fragen sie, ob wir Rettungswesten haben oder irgendwelche anderen Vorschriften nicht eingehalten haben“, sagt er. „Sie machen Probleme, die wir nicht hätten, wenn wir nicht da wären.“ Wenn ein Verstoß festgestellt werde, sei ein Bußgeld fällig, sagt Modiyar. „Du wirst nicht geschlagen oder so etwas, aber du musst Geld zahlen.“
Es sei „nicht normal, dass die spanische Polizei uns sagt, wo wir fischen dürfen und wo nicht. Wir können uns im eigenen Land nicht so bewegen, wie wir uns das wünschen.“ Die Regierung habe Verträge geschlossen, „die nicht unsere Interessen vertreten“, sagt der Gewerkschafter. Tatsächlich sind es nur sehr selten die Spanier selbst, denen er persönlich begegnet, sondern meist Beamten der senegalesischen Polizei. Für Modiyar ist da jedoch kein Unterschied: „Die Spanier bezahlen und befehligen sie, damit sie uns aufhalten.“
Weitere Texte zur europäischen Migrationskontrolle unter migration-control.taz.de
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