: Späte Beisetzung in Srebrenica
In der ehemaligen UN-Schutzzone in Bosnien werden die Überreste von 600 Menschen beigesetzt. Bei einem Massaker im Juli 1995 kamen hier über 7.000 Männer und Jugendliche ums Leben. Einige der damals Geflohenen wollen jetzt zurückkehren
aus Srebrenica ERICH RATHFELDER
In langen Reihen stehen die Särge vor den frisch ausgehobenen Gräbern. Tausende von Menschen drängen sich auf dem Feld gegenüber der Fabrik, die mit schrecklichen Erinnerungen verbunden ist. Viele der Frauen haben Tränen in den Augen. Denn hier, an dieser Stelle in dem bosnischen Ort Potocari, sahen sie ihre Männer und Söhne das letzte Mal. Damals, im Juli 1995, als sie vor den anrückenden Serben hierher zu den niederländischen Blauhelmen geflohen waren und auf Schutz gehofft hatten. Ratko Mladić, Befehlshaber der bosnisch-serbischen Truppen, gab dann den grausamen Befehl. Männer und Frauen wurden voneinander getrennt.
Die Überreste von 600 der insgesamt über 7.000 kurz darauf ermordeten Männer sind jetzt hierher zurückgebracht worden. 600, weil nur diese in einem langwierigen Verfahren identifiziert werden konnten. Zweifelsfrei. Die Särge tragen jetzt einen Namen. Und so werden die Toten hier ihre letzte Ruhestätte finden, vier Kilometer von ihrer Stadt Srebrenica, der ehemaligen UN-Schutzzone, entfernt. Die Überreste von weiteren 4.000 Männern sind in Tuzla und in Visoko gelagert. Nach und nach sollen dann weitere Identifizierte hierher gebracht werden.
Doch jetzt konzentrieren sich die Menschen auf das Gebet. Mustafa Cerić, das Oberhaupt der islamischen Gemeinschaft, der Res-l-Ulema, findet die richtigen Worte des Trostes für die Trauernden. Er spricht von dem Entsetzen, aber auch von der Hoffnung, dass sich so etwas niemals wiederholen möge. Der Hohe Repräsentant der internationalen Gemeinschaft, Paddy Ashdown, erklärt gegenüber der taz, Srebrenica sei „eine Mahnung an uns alle, so etwas nie mehr zuzulassen“.
Aus allen Teilen Bosniens sind die Menschen gekommen, um der Zeremonie beizuwohnen. Und noch Stunden nach Beginn der Trauerfeier treffen weitere Busse voller Menschen ein. Hinter den Fenstern drücken sich die verhärmten Gesichter älterer Frauen.
Die meisten von ihnen leben immer noch als Flüchtlinge in anderen Teilen des Landes. Doch ohne ihre Männer und Söhne ist es vielen nicht gelungen, ein neues Leben zu beginnen. Ohne Arbeit, bitterarm am Rande der Gesellschaft lebend – das ist nach wie vor das Los vieler dieser Frauen.
Doch manche wollen jetzt zurückkehren. „Ich war überrascht, dass die serbische Bevölkerung nicht mehr wie noch vor wenigen Jahren gegen unsere Busse Steine geworfen hat“, sagt die 55-jährige Aida Avdić.
In der Tat hat die Polizei der serbischen Teilrepublik in Bosnien den langen Weg von Sarajevo und Tuzla nach Srebrenica gesichert. Alle hundert Meter steht ein Polizist am Straßenrand. In der Nachbarstadt Bratunac, wo es noch vor wenigen Jahren zu Ausschreitungen gegen Srebrenica-Flüchtlinge gekommen ist, wimmelt es von Uniformen. Sogar die Regierung der Republika Srpska hat eine Delegation zur Feierstunde nach Potocari geschickt.
„Serbische Polizisten schützen uns jetzt,“ stellt Aida verwundert fest. „In meinem Dorf, das oberhalb Srebrenicas in den Bergen liegt, sind schon einige Nachbarn zurückgekommen.“ Nach der Trauerfeier wird sie sich auch auf den Weg dorthin machen. Sie will sich ihr Haus ansehen, das jetzt eine Ruine ist. Ihr Sohn, der damals überlebte, weil er noch ein Kind war, wird langsam erwachsen. „Er wird mir helfen, das Haus wieder aufzubauen.“
4.000 ehemalige Bewohner sind schon den Weg nach Hause angetreten. Zwar hat die internationale Gemeinschaft kein Geld mehr, um den Rückkehrern zu helfen. Gleich nach dem Krieg im Jahre 1995 habe es noch Geld gegeben, sagt Amor Masović, der Vorsitzende des Komitees für vermisste Personen in Bosnien.
Doch damals gab es angesichts der gespannten Lage keine Rückkehrer. „Jetzt aber, nachdem es doch entspannter zugeht, gibt es kaum Hilfe mehr.“ Niemand könne Arbeit finden. Dennoch wollten viele Vertriebene es doch wieder wagen, nach Hause zurückzukehren.
An der Straße nach Bratunac sind einige der Ruinen inzwischen schon wieder bewohnbar gemacht worden. Hinweisschilder deuten auf ein Wiederaufbauprogramm der Europäischen Union. EinTropfen auf den heißen Stein. Bosnien ist doch noch nicht ganz vergessen.