Spät eingeräumte Bespitzelung: Geheimpolizei am Mikrofon
Das Hamburger „Freie Sender Kombinat“ ist vom Staatsschutz überwacht worden. Nicht rechtens, sagt der Datenschutzbeauftragte.
HAMBURG taz | Und sie war es doch: Die verdeckte Ermittlerin Iris P. alias „Iris Schneider“ hat neben der Hamburger „Roten Flora“ auch den Rundfunksender „Freies Sender Kombinat“ (FSK) infiltriert – mit Kenntnis der Staatsschutzabteilung im Landeskriminalamt (LKA). Das haben Innensenator Michael Neumann (SPD) und Polizeipräsident Ralf Meyer im Innenausschuss der Hamburgischen Bürgerschaft eingeräumt.
„Der Einsatz in diesem besonderen Bereich wegen des Rundfunkgeheimnisses und des Quellenschutzes muss heute sehr kritisch bewertet werden“, sagte Meyer am Mittwochabend. Zwischen 2003 bis 2006 von Iris P. gelieferte Informationen aus dem Sender hätten aber „Eingang in die Lagebeurteilung“ des LKA gefunden. „Ich würde den Einsatz unter meiner Verantwortung heute nicht mehr zulassen“, sagte Neumann.
Von August 2001 bis Ende März 2006 war P. als „Iris Schneider“ in die Privatsphäre von Linken eingedrungen, das hatten die Behörden scheibchenweise zugegeben. Jetzt unterstrich der Polizeipräsident, dass die Beamtin weder in der Funktion als Undercover-Ermittlerin für das Bundeskriminalamt (BKA) noch als „Beobachterin für Lagebeurteilung“ (BfL) für das LKA „die einsatztaktische Anweisung“ bekommen habe, bei dem linken Radiosender mitzuarbeiten. Er räumte allerdings ein, es habe „aber auch keinen Auftrag gegeben, sich aus dem Bereich zurückzuziehen“.
„Berufsgeheimnisträger und das FSK waren nicht das Ziel ihres Einsatzes“, so Meyer. Das Engagement als Moderatorin und Reporterin bei den FSK-Sendungen „Revolte Radio“ und „Magazin für subversive Unternehmungen“ oder bei Demonstration dürfte für P. eine denkbar gute Möglichkeit gewesen sein, ihre „Legende“ aufrechtzuerhalten. „Sie ist nicht die Verantwortliche für den Einsatz“, nahm Innensenator Neumann die Ermittlerin nun in Schutz. Befragt von der Ermittlungsgruppe zur Aufklärung der Affäre habe P. beteuert, „Zurückhaltung geübt“ und keinen politischen Einfluss auf Sendungen genommen zu haben.
Seine Parteifreundin Anja Domres (SPD), Vize-Chefin des Hamburger Verfassungsschutzes, berichtete dem Ausschuss, in ihrer Behörde seien 70 „Iris Schneider“ zuzurechnende Aktenstücke gefunden worden, von denen zwei personenbezogenen Daten beinhalteten. Dem widersprach eine Mitarbeiterin des Datenschutzbeauftragten, von der die Berichte tags zuvor gesichtet worden waren: Es seien durchaus Namen genannt worden, die im Kontext mit dem Berichtsgegenstand einzuordnen seien.
Es gehe bei verdeckter Aufklärung nicht nur darum, was später aufgeschrieben werde, sondern auch darum, was man zuvor sammele, sagte Hamburgs Datenschutzbeauftragter Johannes Caspar. Die Polizei habe die Verpflichtung „offen zu ermitteln“, um eine Lage beurteilten zu können. Demgegenüber könne ein Geheimdienst im Vorfeld verdeckt ermitteln. Im Fall P. versuche die Polizei eine Rechtsgrundlage unterhalb der verdeckten Ermittlungen zu konstruieren, so Caspar – „doch eine Geheimpolizei gibt es laut Bundesverfassungsgericht nicht“.
Leser*innenkommentare
wxyz
Früher interessierten sich Personalchefs bei Neuenstellungen für mögliche Vorstrafen des Bewerbers. In nicht allzu langer Zeit wird es vermutlich große Datenbanken geben, in denen Staatsbedienstete und Mitarbeiter halbstaatlicher Unternehmen erfaßt sind, die dann chancenlos für einen Nebenjob sind, weil kein Unternehmer menschliche Trojaner einstellen will.
Andreas_2020
Menschen wie "Iris Schneider" wird es immer geben: Die geheime Seite von Polizei, Geheimdienst und Staat wird nicht verschwinden. Diese Methoden kommen hier mal ans Licht. Aber auf eine aufgeflogene Agentin, kommen vielleicht noch fünf oder sechs, die sich cleverer verhalten, die nicht auffliegen.
Das ist doch der Punkt. Dass die Behörden immer noch versuchen, das Ganze runterzufahren, ist dann entsprechend entlarvend. Die würden wahrscheinlich so was nochmals tun. Vielleicht dann nicht beim Sendekombinat, aber die Anweisungen und die Realität in solchen Einsätzen passen nie zusammen. Am Ende geht's um Erkenntnisse und die hat auch Iris Schneider geliefert. Wirklich tolle Informationen waren wohl nicht dabei, aber fürs Puzzlen war genug dabei.