Sozialökologischer Umbau: Grün ist die Zukunft
Ist umweltverträgliches Wachstum im Kapitalismus möglich? Das kann nur die Praxis zeigen, mittels einer radikal sozial-ökologischen Reformpolitik.
G ewerkschaften und Umweltbewegung rätseln seit ihrer Gründung darüber, ob der Kapitalismus das Problem oder Teil der Lösung ist. Der Kapitalismus hat einen eingebauten Wachstumszwang: Profitorientierte Unternehmen erzeugen immer mehr Güter in kürzerer Zeit. Die expansive kapitalistische Produktionsweise machte die Effizienzgewinne durch Mehrverbrauch wieder zunichte. Dass grünes Wachstum im Kapitalismus möglich ist, muss also erst noch bewiesen werden.
Eine radikal sozial-ökologische Reformpolitik wäre der ultimative Praxistest. Ein grüner Kapitalismus, der kohlenstoffarm produziert, müsste die energieintensiven Schlüsselsektoren umbauen, die öffentliche Infrastruktur erneuern und gleichzeitig die soziale Spaltung bekämpfen. Ein Bündnis aus aufgeklärtem Bürgertum und Arbeitnehmermilieus könnte einen solchen Green New Deal mehrheitsfähig machen.
Die Idee ist nicht neu. In den 1930er Jahren war der New Deal die wirtschafts- und sozialpolitische Antwort Franklin D. Roosevelts auf die Weltwirtschaftskrise. In den 1980er Jahren wollte die SPD die Industriegesellschaft ökologisch modernisieren. Bernie Sanders zog mit einem Green New Deal – Investitionsoffensive für erneuerbare Energien und staatliche Arbeitsplatzgarantie – in den US-Präsidentschaftswahlkampf. Und Bündnis90/Die Grünen forderten einen Green New Deal im Europawahlkampf 2019.
Das größte Marktversagen
ist Chefökonom der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft Verdi. Er ist Mitglied der SPD-Grundwertekommission und des Wirtschaftspolitischen Beirats. Sein Buch „Das Gift der Ungleichheit“ erschien im Juli im Dietz Verlag.
Der Green New Deal besteht im Kern aus Ordnungspolitik (Ökosteuern, Verbraucherschutz, Auflagen) und einer öffentlichen Investitionsoffensive (nachwachsende Rohstoffe, öffentliche Infrastruktur, Energieeffizienz, erneuerbare Energien). Gleichzeitig sollen die Beschäftigten durch den Ausbau von Bildungswesen und Forschung entsprechend qualifiziert werden. Dadurch soll eine lange Welle grüner Innovationen entstehen, die für Beschäftigung und wirtschaftliche Dynamik sorgt.
Im Kapitalismus gibt es immer wieder Marktversagen: Unternehmen können die Umwelt kostenlos verschmutzen. Für den Ökonomen Nicolas Stern ist der Klimawandel das größte Marktversagen, das wir je gesehen haben. Hier muss der Staat ordnungspolitisch handeln. Preise sollten künftig die ökologische Wahrheit sagen und umweltschonende Produkte und Produktionsverfahren fördern. Eine ökologische Steuerreform sollte die Energie- und Rohstoffpreise stetig erhöhen, wobei der Preisanstieg sich am Zuwachs der Ressourcenproduktivität orientieren könnte. So werden Firmen motiviert, ihren Energie- und Ressourcenverbrauch zu senken.
Ordnungspolitik hat aber auch ihre Grenzen. Grüne Märkte allein überwinden die umweltschädlichen kapitalistischen Produktions- und Konsummuster nicht. Seit drei Jahrzehnten machen die fossilen Brennstoffe 80 Prozent des weltweiten Energieverbrauchs aus. Viele Unternehmen werden, ohne einen Umbau der Infrastrukturen, weiter die Umwelt verschmutzen, für Ausnahmen und Subventionen streiten oder Strafen zahlen. Viele motorisierte Berufspendler können nicht auf Bus und Bahn umsteigen. Verbraucher können sich ohne Kreislaufwirtschaft nicht umweltbewusst verhalten. Nur einkommensstarke Haushalte können regelmäßig in Bioläden einkaufen, mit Elektroautos fahren und in Ökohäusern wohnen.
Deshalb muss ein handlungsfähiger Staat die Transformation mit grünen Investitionen vorantreiben. Dabei geht es um den Ausbau der öffentlichen Infrastruktur und Daseinsvorsorge.
Für eine Verkehrswende muss der Staat kräftig in den öffentlichen Nah- und Fernverkehr investieren. Der Verkehr sollte auf die Schiene verlagert, der fossile Verbrennungsmotor muss durch emissionsfreie Antriebe ersetzt werden. Eine ökologische Industriepolitik sollte dafür die notwendige Infrastruktur – Batteriezellenproduktion, Ladestationen, Wasserstoffproduktion – schaffen. Richtiger Klimaschutz geht aber nur mit weniger Autos. Ein ökologisches Mobilitätskonzept braucht folglich neue Produkte und Geschäftsmodelle für die Konversion der Autobauer.
Die Energiewende zielt auf Vollversorgung durch erneuerbare Energien. Neben dem nötigen Ausbau der regenerativen Energien: Die beste Energie ist immer die, welche nicht verbraucht wird. Zudem sollte eine Kreislaufwirtschaft mit geschlossenen Stoffkreisläufen aufgebaut werden. Ferner müssen die globalen Wertschöpfungsketten und Handelsströme stärker regionalisiert werden. Öffentliche Banken und Versicherungen sollten ihre Kredite und Investitionen in den ökologischen Umbau lenken und aus der Kohle- und Erdölindustrie aussteigen.
Ein Green New Deal ist nur dann mehrheitsfähig, wenn er sozial gerecht ist. Verbrauchssteuern etwa sind problematisch, da die Unternehmen diese häufig auf die Konsumenten abwälzen können. Die Mehrbelastungen für Geringverdiener und sozial Benachteiligte müssen ausgeglichen werden.
Damit nicht genug: Die Beschäftigten der Automobilindustrie und der fossilen Energieversorger brauchen eine Perspektive mit sicheren, guten Arbeitsplätzen. Ein Zukunftsfonds kann dafür die Finanzmittel bereitstellen. Die nötigen öffentlichen Umwelt- und Klimaschutzinvestitionen sollten über Kredite oder über höhere Steuern auf große Gewinne, Einkommen und Vermögen finanziert werden. Die größten Klimasünder müssen mehr zum Umweltschutz beitragen.
Ein Green New Deal erfordert aber auch mehr Wirtschaftsdemokratie. Belegschaften, Betriebsräte und Gewerkschaften müssen den Umbau mitgestalten. Umweltinitiativen und -verbände sollten in regional- und strukturpolitischen Räten ebenfalls Einfluss nehmen können. So können Umweltbewegung und Gewerkschaften mit sozialen Bewegungen und progressiven Parteien für eine gerechtere, nachhaltige Gesellschaft streiten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
Prognose zu Zielen für Verkehrswende
2030 werden vier Millionen E-Autos fehlen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Partei stellt Wahlprogramm vor
Linke will Lebenshaltungskosten für viele senken
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen