Sozialleistungen für Flüchtlinge: Asylbewerber gehen leer aus
Die Sozialleistungen für Asylsuchende sind verfassungswidrig niedrig. Das hat selbst die Bundesregierung eingeräumt. Änderungen stehen frühestens 2012 an.
BREMEN taz | Obwohl sie selbst festgestellt hat, dass die Sozialleistungen für Asylbewerber verfassungswidrig sind, will die Bundesregierung die Bezüge von Flüchtlingen vorerst nicht neu berechnen. Gegenüber dem Bundesverfassungsgericht kündigte das Sozialministerium an, das Thema "bis Ende des Jahres" mit den Ländern zu besprechen. Erst dann soll ein neuer Gesetzentwurf erarbeitet werden.
"Die Bundesregierung will den erkannten verfassungswidrigen Zustand aufrechterhalten", sagt Georg Classen vom Flüchtlingsrat Berlin. "Seit Februar 2010 ist klar, dass es Handlungsbedarf gibt. Die Bundesregierung hat seither nichts getan. Sie sitzt das Thema aus und erfindet ständig neue Ausreden für ihre Untätigkeit."
Das Sozialministerium verwies hierzu am Dienstag nur auf seine zwei Wochen alte Antwort auf eine Abgeordnetenanfrage. "Die Überprüfung ist noch nicht abgeschlossen", heißt es da.
Dabei hatte die Bundesregierung schon vergangenes Jahr eingeräumt, dass die Sätze nicht rechtens sind. Im Februar 2010 entschied das Verfassungsgericht, dass die Hartz-IV-Sätze nicht nach dem tatsächlichen Bedarf berechnet wurden. Das gilt auch für die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG).
Auf eine Anfrage der Linkspartei-Abgeordneten Ulla Jelpke antwortete Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU), dass die Leistungen im AsylbLG "auf der Grundlage von Kostenschätzungen" erfolgt seien. Und schloss: "Das entspricht nicht den Anforderungen des Urteils des Bundesverfassungsgerichts." Schon damals kündigte von der Leyen an, die Sätze neu berechnen zu wollen. Geschehen ist nichts.
Flüchtlinge werden absichtlich schlechter gestellt
Asylbewerber erhalten bis zu einer offiziellen Anerkennung als Flüchtlinge ebenso wie die weit über 100.000 Geduldeten weit geringere Sozialleistungen als Deutsche. Sie müssen oft jahrelang in Sammelunterkünften leben und mit Sachleistungen in Höhe von "360 D-Mark" auskommen - so steht es im bis heute gültigen, 1993 beschlossenen Gesetz. Hinzu kommt ein Taschengeld von heute 40,90 Euro. Zusammen macht dies rund ein Drittel weniger aus als Hartz IV.
Als Teil des "Asylkompromisses" sollten Flüchtlinge 1993 deutlich schlechter gestellt werden als deutsche Sozialleistungsempfänger. Die Kosten für Lebensmittel stiegen seither um fast 25 Prozent. Einen Inflationsausgleich gab es nicht.
In einigen Bundesländern werden die Sachleistungen wöchentlich in Form von Lebensmittelpaketen ausgeteilt, meist jedoch geben die Sozialämter Gutscheinhefte aus, die nur von bestimmten Läden angenommen werden.
Das Thema ist seit rund einem Jahr auch in Karlsruhe anhängig. Bis Ende des Jahres will das Verfassungsgericht über die Klage des geduldeten Irakers Aram K. aus Eschweiler entscheiden. Der seit 2003 in Deutschland lebende abgelehnte Asylbewerber klagte, weil er von 225 Euro im Monat plus Miete leben musste. Zu arbeiten war ihm wie fast allen Geduldeten verboten.
"Ins Blaue hinein geschätzt"
Das Landessozialgericht in Essen hielt die Höhe seiner Bezüge für einen Verstoß gegen das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum. Sie reichten "offensichtlich nicht aus, um eine menschenwürdige Existenz zu gewährleisten", so die Richter. Zudem seien sie "ins Blaue hinein" geschätzt worden. Das Gericht legte die Klage schließlich dem Bundesverfassungsgericht vor. Möglicherweise kommt dessen Beschluss dem Gesetzgebungsverfahren in Berlin nun zuvor.
Ob das zu einem Ergebnis führen wird, ist überaus fraglich. Denn die Gespräche mit den Ländern gestalten sich schwierig. Vor allem Rheinland-Pfalz, Berlin und Baden-Württemberg wollen das AsylbLG komplett abschaffen. Nach ihrem Willen sollen Flüchtlinge deutschen Sozialleistungsempfängern gleichgestellt werden und Hartz IV bekommen.
Für einige unionsregierte Länder wie Bayern und Niedersachsen kommt das nicht infrage. Sie bestehen auf gesonderten Sozialleistungen und wollen das AsylbLG unbedingt erhalten. "Da wird es keinen Konsens geben", glaubt der Flüchtlingsratsprecher Classen. "Möglicherweise ist dies auch genauso beabsichtigt."
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