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Sozialismus

■ betr.: "Weitermachen, über die Grenzen hinweg", "Der Sozialsmus its tot - es lebe der ...", taz vom 5.6.90

betr.: „Weitermachen, über die Grenzen hinweg“, „Der Sozialismus ist tot - es lebe der...“,

taz vom 5.6.90

Weder auf dem Kongreß der „Radikalen Linken“ in Köln noch während der 11. Berliner Volksuni ist man der entscheidenden Frage nachgegangen: Stimmt die Marxsche Kapitalanalyse überhaupt? Ist es so abwegig zu fragen, ob vielleicht Marx sich und seinen Epigonen mit einer falschen Kapitalanalyse den Weg zum Sozialismus verbaut hat? Ist die ideologische Verhärtung so weit fortgeschritten, daß so etwas nicht gefragt werden „darf“?

Gerade weil der bisherige Weg zum Sozialismus gescheitert ist, muß man die Richtigkeit der Marxschen Kapitalanalyse anzweifeln und endlich einer anderen Erklärung der Ausbeutung Beachtung schenken: Nicht das Privateigentum an den Produktionsmitteln (abgesehen vom Boden) ist Grund und Ursache des Kapitalismus; dieser ist vielmehr eine Folge des traditionellen Geldsystems, wie Proudhon, Gesell und Keynes erkannt und heutige Geldtheoretiker bestätigt haben, zum Beispiel Diether Suhr (Uni Ausburg) oder Hajo Riese (FU Berlin). Sehr verkürzt gesagt: Der Zins beruht auf der Möglichkeit der Knapphaltung von Geld. Und weil Geld Zinsen kostet, müssen auch Produktionsmittel Zinsen abwerfen, muß mit der Produktion der Zins erwirtschaftet werden.

Beim Geldsystem ist anzusetzen, wenn man den Kapitalismus überwinden und entscheidende Voraussetzungen schaffen will für soziale Gerechtigkeit und Freiheit, die Grundanliegen aller SozialistInnen waren.

Oskar Negt dürfte Recht haben mit seiner zum Auftakt der Volksuni geäußerten Vermutung: „Vielleicht stehen wir nicht am Ende, sondern am Anfang einer sozialistischen Utopie.“ Nur muß dazu, wie er auch sagte, alles neu erdacht werden.

Josef Hüwe, Berlin

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