Soziale Gerechtigkeit und Bahnfahren: 9-Euro-Ticket legt Privilegien offen

Zugfahren wird zu häufig klimapolitisch diskutiert und zu selten als Frage der sozialen Gerechtigkeit. Dabei hat die Bahn soziale Auslese betrieben.

Bahnsteig im Berliner Hauptbahnhof

Jenseits des 9-Euro-Tickets ist Bahnfahren für viele noch immer sehr teuer Foto: dpa

Ein Elternpaar aus Hagen möchte mit dem 16-jährigen Sohn in Köln spontan ein wenig shoppen und später die Oma besuchen. Die Bahn hat dazu ein tolles Angebot: das Schöner-Tag-Ticket NRW. Dieser Supersparpreis für die einstündige Fahrt kostet hin und zurück 45,70 Euro. Im Flixbus schlägt dieselbe Strecke mit der Hälfte zu Buche. Hat die Familie ein Auto oder kann sie eines leihen, kommt sie mit den reinen Benzinkosten noch billiger weg.

Mobilität ist eine Frage des Geldes und Bahnfahren das Privileg jener, die nicht auf jeden Euro schauen müssen. Alle übrigen verzichten häufig ganz auf den Ausflug nach Köln oder suchen günstigere Alternativen. Und dann kam das 9-Euro-Ticket. So also sieht die Welt aus, wenn sich alle die Fahrkarten leisten können. Für manche reguläre Bahn­fah­re­r*in­nen ist es ein Schock, weil jetzt klar wird, dass die Fahrt mit dem Zug bisher sozial ausgrenzend war (und nur vorübergehend nicht ist).

Zugfahren wird zu häufig als klimapolitische Notwendigkeit diskutiert und zu selten als Frage der sozialen Gerechtigkeit. Die Deutsche Bahn gehört dem Staat und damit allen Bürger*innen. Doch über Jahrzehnte haben die hohen, teilweise horrenden Preise dafür gesorgt, dass hier eine soziale Auslese betrieben wurde.

Der Nachholbedarf ist gewaltig, denn ein gerechter Zugang zum Verkehrsmittel Bahn erfordert so viel mehr als neue Schienen, mehr Züge und einen Aus- und Umbau auf allen Ebenen. Es muss gleichzeitig dafür gesorgt werden, dass Zugtickets dauerhaft für alle Bevölkerungsschichten bezahlbar sind.

Und sicher – auch darüber wird viel zu wenig reflektiert: Frauen und Mädchen haben ein Recht darauf, frei von sexualisierter Belästigung oder Übergriffen mit dem Regionalzug unterwegs zu sein – egal zu welcher Tageszeit. Gleiches gilt für andere vulnerable Gruppen.

All das wird viel Geld kosten, doch auch andere Bereiche des öffentlichen Lebens werden staatlich subventioniert, weil sie dem politischen Willen entsprechen. Nicht nur die Grünen, sondern auch der Mann, der sich Klimakanzler nennt, will Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit zusammen denken. Wer die Gesellschaft verändern will, muss auch den Mut haben, Prioritäten neu zu setzen.

Das 9-Euro-Ticket wirft deshalb nur ein Schlaglicht auf das, was die Deutsche Bahn sein könnte: ein bequemes, zeitgemäßes, klimafreundliches und sozial gerechtes Fortbewegungsmittel.

Und ja, es klingt wie eine Utopie.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Kommentatorin & Kolumnistin, Themen: Grüne, Ampel, Feminismus, Energiewende, Außenpolitik

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.