: Sozialdemokratie im Euro-Hoch
■ Europaweite Umfrage: Sozialdemokratische Konzepte haben die größten Sympathien
Paris (taz) - Europa wünscht sich rosarot: nach einer gestern veröffentlichten Umfrage in acht ost- und westeuropäischen Ländern gilt eine Gesellschaft sozialdemokratischen Typs als Ideal, beziehungsweise als am wenigsten schlechtes Modell. Mit Ausnahme der Sowjetunion hat das Wort „Sozialdemokratie“ in allen untersuchten Ländern (Ungarn, Polen, Spanien, Italien, Großbritannien, Frankreich, Bundesrepublik) bei mehr als der Hälfte der Befragten einen positiven Klang. „Kapitalismus“ hingegen wird nur in Polen und Thatcher-England mehrheitlich als positiver Wert verstanden.
Das gestern in 'Liberation‘ und anderen europäischen Zeitungen veröffentlichte Ergebnis ist nicht überraschend; um so weniger, als keineswegs Einhelligkeit darüber besteht, was denn eigentlich Sozialdemokratie sein soll. Für die Mehrheit der Ungarn bedeutet das Zauberwort schlicht „höheren Lebensstandard“, eine Ansicht, die bezeichnenderweise nur von 10 Prozent der (sozialdemokratisch regierten) Spanier geteilt wird. Glatte 57 Prozent der Bundesbürger sehen ausgerechnet in der Kohl -Republik den Inbegriff von Sozialdemokratie verwirklicht weit eher als in Schweden. Die Antworten zeigen, daß Sozialdemokratie in Ost- und Mitteleuropa nicht mehr mit „mehr Reformen wagen“ in Verbindung gebracht, sondern als wundersame Quadratur des Kreises verstanden wird: effiziente Marktwirtschaft plus maximale soziale Sicherung.
Der Kommunismus hat nach der Umfrage das meiste Ansehen in der Sowjetunion (38 Prozent betrachten ihn als „positiv“), in Italien und - in Großbritannien, wo 18 Prozent ihm positiv gegenüberstehen. In der Sowjetunion befürworten 35 Prozent ein „sozialdemokratisches Regime“, 31 Prozent ein kommunistisches und nur vier Prozent ein liberal -kapitalistisches. In Polen möchten 44 Prozent (Ungarn: 53 Prozent) in einem sozialdemokratischen System leben, beindruckende 27 Prozent (Ungarn: 24 Prozent) sogar in einem Kapitalismus ohne Wenn und Aber.
Auch die „deutsche Frage“ wurde den Nachbarn zur Stellungnahme vorgelegt, und siehe da: Spanien (48 Prozent „sehr dafür“) und Italien (41 Prozent) sind die einheitsfreudigsten Länder, noch vor der BRD (31 Prozent). Zählt man die Stimmen „eher dafür“ hinzu, so ist nur ein Land mehrheitlich gegen eine Vereinigung: 64 Prozent aller befragten Polen sprachen sich gegen Großdeutschland aus. Und kein anderes Land ist so skeptisch gegenüber der Zukunft wie Polen. Dort rechnet jeder fünfte damit, daß die Entwicklung im Osten einen neuen internationalen Konflikt bewirken könnte.
smo
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