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Sowjet-Psychiater auf neuen Wegen

■ Neuanfang für sowjetische Psychiatrie / Innenministerium soll sich nicht mehr einmischen / Patienten sollen Gerichte gegen Einweisungen anrufen

Berlin (rtr/taz) – Die psychiatrischen Sonderanstalten für „Kriminelle“ in der Sowjetunion sollen vom 1.März an nicht mehr dem Innenministerium, sondern dem Gesundheitsministerium unterstellt sein. Weiterhin sollen im Rahmen der Ende Januar angekündigten Reformen in den nächsten beiden Jahren zwei Millionen „Geisteskranke“ von den psychiatrischen Listen gestrichen werden, auf denen nach offiziellen Angaben über 6,6 Millionen Namen geführt sind. Dies verkündete der Chefpsychiater des Gesundheitsministeriums, Alexander Tschurkin, am Donnerstag in Moskau.

Es seien in den Sonderanstalten von unerfahrenen Ärzten „Fehler“ gemacht worden, räumte der Chefpsychiater ein. Er mochte aber nicht von einem systematischen Mißbrauch der Psychiatrie durch die Sicherheitsorgane des Staates sprechen. Es seien ihm keine Fälle bekannt, in denen KGB oder Innenministerium Psychiater gezwungen hätten, ihre Patienten für geisteskrank zu erklären. Vielmehr sei die jetzt vorgenommene Umorganisation nur ein logischer Schritt bei der Reform des Gesundheitswesens. Einige Sonderanstalten würden ganz geschlossen, andere in geschlossene Häuser für gewalttätige Patienten umgewandelt. Tschurkin gab aber zu, daß das bisherige Psychiatrie-System mit Hilfe „doppeldeutiger Regelungen“ und ohne „strikte Kontrolle“ funktionierte. Künftig sollen Patienten, ihre Angehörigen oder Rechtsanwälte auch das Gericht anrufen können, wenn sie von einer ungerechtfertigten Internierung überzeugt sind.

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