: Sowjet-Abzug teurer und langsamer
■ Geräumte Kasernen sollen 10,5 Milliarden Mark kosten/ Mangelnde Hilfe bei Suche nach Deserteuren beklagt
Berlin (afp) — Der Abzug der Sowjettruppen vom Gebiet der früheren DDR hat sich im Januar und Februar verzögert. Bei den Soldaten wurde lediglich die Hälfte und bei der Kampftechnik 70 Prozent des Plans erfüllt, wie der Oberkommandierende der Westgruppe der sowjetischen Streitkräfte, Generaloberst Matwej Burlakow, bekanntgab. Für die Verzögerung machte er die Weigerung Polens verantwortlich, die Sowjettruppen über polnisches Gebiet abziehen zu lassen. Beklagt wurde außerdem die mangelnde diplomatische Unterstützung der Bundesregierung bei den Verhandlungen mit Warschau. Die beim Abzug geräumten Militärgebäude will die UdSSR an Bonn verkaufen. Burlakow bezifferte den Wert der Anlagen mit 10,5 Milliarden Mark. Der Erlös solle für den Bau zusätzlicher Wohnungen für heimkehrende Offiziere verwendet werden.
Durch die Transitverweigerung Polens werde der Rücktransport der 388.000 Soldaten, ihrer Angehörigen und der Ausrüstung „zweimal länger und zweimal teurer“ als geplant, sagte der Oberkommandierende. Er wollte sich nicht dazu äußern, ob der im jüngst ratifizierten 2+4-Vertrag festgelegte Termin einzuhalten ist, wonach alle Truppen bis Ende 1994 abgezogen sein sollen. In der UdSSR mehren sich die Stimmen, die von einer wesentlich längeren Abzugsdauer ausgehen.
Der Chef der Politischen Verwaltung der Westgruppe, Generalleutnant Wladimir Grebenjuk, sagte dem 'Neuen Deutschland‘, die Beziehungen der Westgruppe zur deutschen Seite „funktionieren nicht reibungslos“. Viele Verfahrensweisen beim Abzug seien noch nicht geklärt, darunter die Frage des sowjetischen Vermögens auf deutschem Boden.
Nach den Worten Burlakows ist die UdSSR an einer „Verwertung“ der Liegenschaften interessiert, um mit dem Erlös in der UdSSR zusätzliche 19.000 Wohnungen für abziehende Offiziere zu bauen. 55.000 der in Deutschland stationierten Soldaten hätten keine Wohnung in der Heimat, die vertraglich von Bonn zugesagten 7,8 Milliarden Mark reichten jedoch nur für den Bau von 36.000 Wohnungen. Nach Angaben Burlakows hat die Sowjetarmee der Bundesrepublik bereits 40 Militärobjekte im Wert von mehr als 800 Millionen Mark übergeben, die nunmehr bezahlt werden sollten. Die Westgruppe will eine gesonderte Abteilung für die Verwertung ihres Vermögens in Deutschland bilden.
Der deutsch-sowjetische Stationierungs- und Abzugsvertrag, der dem Obersten Sowjet zur Ratifizierung vorliegt, sieht unter anderem vor, die Immobilienwerte der Roten Armee und die Kosten zur Beseitigung der von ihr verursachten Schäden gegeneinander zu verrechnen. Burlakow zeigte sich jedoch überzeugt, daß auch nach dieser Verrechnung „eine beträchtliche Summe“ übrigbleibe, die zusätzlich zu den festgelegten 13 Milliarden Mark aus Bonn nach Moskau fließen würde.
Von der deutschen Polizei erwartet Burlakow „mehr Wohlwollen“ bei der Suche nach und der Übergabe von Deserteuren. 153 Militärangehörige hätten sich von der Truppe abgesetzt, darunter 35 Offiziere. Außerdem seien 53 Familienangehörige von Soldaten und 17 Zivilbeschäftigte verschwunden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen