ESSAYS: Souverän in die Demokratie einmischen
■ Das Bekenntnis zum bestehenden Parlamentarismus bringt die Linke in eine Zwickmühle: Die repräsentative Demokratie sichert den Wählern zwar reale Macht, schließt aber ihre politische Beteiligung weitgehend aus. Um nicht einfach vom System absorbiert zu werden, muß die Bürgerbewegung eine Radikaldemokratisierung vorantreiben, die Herstellung der selbstbestimmten zivilen Gesellschaft gegenüber zentralen Machtinstitutionen. Ein auf Freiwilligkeit basierender Sozialismus hätte darin auch seinen Platz.
VON PAUL HIRST
Die intellektuelle Linke in Europa und den USA hat die „Demokratisierung“ zum Kern ihrer Politik gemacht. Bei ihrem Engagement für die Basisdemokratie sieht sich die Linke jedoch zwei großen Problemen gegenüber. Das eine besteht darin, daß in der repräsentativen Demokratie das Ausmaß echter Regierungsverantwortlichkeit sowie der öffentliche Einfluß auf die Entscheidungsfindung sehr gering sind. Zum anderen ist die Linke gerade dabei, einen Prozeß des politischen Wettbewerbs zu akzeptieren, in dem Linksparteien bestenfalls periodisch gewinnen können. Auch im Falle eines Wahlsiegs ist der parlamentarische Rahmen für langfristige soziale und politische Veränderungen äußerst eng gesteckt. In Wirklichkeit hat die Linke ihr traditionelles Ziel aufgegeben: den Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft – das heißt Vergesellschaftung und öffentliche Kontrolle von Produktionsmitteln, Verteilung und Warenaustausch.
Das Plädoyer für die Demokratie hat eine Doppelfunktion: Einerseits bietet die Demokratisierung des Staates und der weiteren Gesellschaft als Ziel und Strategie eine Alternative zum traditionellen Programm; andererseits sind die vorgeschlagenen Formen einer Ausweitung der Demokratie Antwort auf die großen Schwächen der repräsentativen Demokratie, die linker Politik Grenzen setzt.
Das Problem ist folgendes: Wie eine radikale Demokratisierung ohne grundlegende und detaillierte Kritik der repräsentativen Demokratie thematisieren? Wie soll man außerdem damit umgehen, daß radikale Theorien zur Kritik der repräsentativen Demokratie, wie der Marxismus, überholt sind? Die Antwort der demokratischen Linken besteht darin, die Lagerhäuser des westlichen Liberalismus und der demokratischen Theorie zu plündern. Fast ohne Ausnahme eigneten linke Intellektuelle sich nichtmarxistische und nichttraditionelle sozialistische Ideen an, um ihr Anliegen der Demokratisierung voranzutreiben. Sie waren dazu gezwungen. Der Marxismus bietet keine brauchbare politische Theorie. Sich vom Marxismus abzuwenden ist keine „revisionistische“ Mode, wie die übriggebliebenen fundamentalistischen Marxisten es sehen. Vielmehr ist es Vorbedingung einer relevanten und politisch glaubwürdigen Auseinandersetzung in einem repräsentativdemokratischen Staatswesen.
Die neue demokratische Linke ist realistisch. Ihre Denker argumentieren nicht für die Zerschlagung der existierenden repräsentativen Demokratie durch gewaltlose Überzeugungsarbeit wie einige Grüne und postindustrielle Utopisten. Sie akzeptieren eine Massenwählerschaft, den Vielparteienwettbewerb, ein paar hierarchisch organisierte Parteien und einen Territorialstaat mit Gewaltmonopol. Ziel ist die Demokratisierung innerhalb dieser Gegebenheiten.
Wie kann das erreicht werden? Es gibt zwei Hauptströmungen. Eine „neurepublikanische“ Richtung, basierend auf der Idee der „Staatsbürgerschaft“ (citizenship), tritt dafür ein, die aktive Beteiligung an zentralen Institutionen des Gemeinwesens zu verstärken und die sozialen und politischen Bürgerrechte auszudehnen. Ein stärker antistaatlicher Ansatz propagiert eine zentrale Rolle von Initiativen der Bürger in der „zivilen Gesellschaft“ (civil society) und will sich auf eine aktive, gut organisierte zivile Gesellschaft als Kontrolle und Ersatz für den Staat verlassen.
Diese beiden Strömungen sind Pole desselben Diskurses, die sich überschneiden und gegenseitig befruchten. Die „neurepublikanische“ Richtung ist in Großbritannien und den USA stark vertreten; sie strebt die stärkere Beteiligung und Einbindung der Bürger an, um die an Desillusionierung und geringer Bürgerbeteiligung krankende demokratische Gesellschaft wiederzubeleben. Die Befürworter der „zivilen Gesellschaft“ stützen sich auf die Erfahrung Osteuropas, wo die Opposition gezwungen war, sich außerhalb des Einparteienstaats und gegen ihn zu organisieren. Sie berufen sich auch auf die Erfahrungen der „neuen sozialen Bewegungen“ im Westen: die ökologische, feministische, Schwulen-, Antirassismusbewegung u.a., die parlamentarische Politik bei der Verfolgung ihrer spezifischen Ziele ebenfalls hintanstellten oder ignorierten.
Die Schwierigkeit liegt darin, daß sich die neuen linken Demokraten in dem Ausmaß, wie sie die Institutionen repräsentativer Demokratie akzeptieren, auch auf die Konsequenzen einstellen müssen. Das haben sie im großen und ganzen versäumt. Die moderne repräsentative Demokratie war eher ein Instrument zur Legitimation staatlicher Macht, als daß sie wirklich eine Verantwortlichkeit der Regierung und ihre Öffnung für den Einfluß der Öffentlichkeit bewirkt hätte. Es ist nur schwer vorstellbar, daß es anders funktionieren könnte, es sei denn in einer extremen Krise, die dem Volk ein Veto gegen ein untragbares Regime oder eine autoritäre, an die Macht strebende Partei erlaubt. Das Problem liegt darin, daß Massendemokratie dem Wähler zwar die reale Macht verleiht, einige der Hauptpersonen auf Regierungsebene zu bestimmen, daß sie die politische Partizipation aber auch minimiert.
Das „neurepublikanische“ Argument für eine verbesserte Stellung der Bürger und stärkere Beteiligung an den zentralen Institutionen von Staat und Gesellschaft versucht, die Schwachpunkte moderner Massendemokratie anzusprechen, und leugnet sie gleichzeitig. Die eingeschränkte Beteiligung ist ein institutionalisiertes Charakteristikum der Massendemokratie und demonstriert nicht bloß ihr Scheitern unter bestimmten Bedingungen. Eine Massenwählerschaft kann nur unregelmäßig partizipieren: Um zur Wahl zugelassen zu werden, sind häufige Kampagnen notwendig; aufgrund der damit verbundenen Kosten ist es unmöglich, regelmäßig und routiniert auf die Bedürfnisse der Wähler einzugehen. Das Wahlvolk kann auch nur mit einem relativ geringen Spektrum an Möglichkeiten umgehen, und so reduziert sich der Wettbewerb um die Teilnahme an den Wahlen gewöhnlich auf eine Handvoll größerer Parteien. Die repräsentative Demokratie hält nur seltene und begrenzte Wahlmöglichkeiten für die Masse bereit. Das ist unvermeidlich, selbst wenn die große Masse sich mit dem politischen Prozeß identifiziert – zur Wahl geht, wenn es ansteht – und sich leidlich politisch bildet.
Der Spielraum für eine Verbesserung der Position der Bürger und eine stärkere Einbindung ist klein. Demokratisierung muß etwas anderes beabsichtigen als ein größeres Maß an Bürgerbeteiligung. Während diese in modernen Massendemokratien begrenzt ist, kommt den Parteien übermäßige Bedeutung zu. Die Massendemokratie erlaubt zwar eine minimale Beteiligung des Individuums, aber die großen politischen Parteien beherrschen die Hauptthemen der Politik. Also läuft jede politische „Alternative“, die nicht – wie die Parteien – um Wählerstimmen konkurriert und doch die politische Tagesordnung zu ändern sucht, Gefahr, im politischen Abseits zu stehen. Die grüne Bewegung hat demonstriert, daß es zwar möglich ist, neue Inhalte einzubringen, aber nur insoweit, wie die großen Parteien sie aufnehmen und verwässern. Selbst wenn die Großen nicht sonderlich erfolgreich sind, überleben sie und besetzen politischen Raum. So mag die Kommunistische Partei in Italien oder die Labour Party in Großbritannien auf Jahre hinaus nicht an der Regierung sein, und dennoch monopolisiert sie das Potential der oppositionellen Linken.
Große linke Parteien scheuen eine wirklich radikale Erneuerung sowohl in politischen als auch in sozialen Institutionen: aufgrund der Annahme, daß die Wähler nichts mehr fürchten als radikale Veränderungen, besonders im politischen Bereich. Sie beschränken ihr Engagement auf Strategien für politische Reformen.
Daher meiden die großen linken Parteien die neue politische Linke oder mißbrauchen ihre Rhetorik zur Verschleierung zutiefst konservativer Reformstrategien. An keiner Stelle erwähnen die neuen linken Reformprogramme Wege zur Abschaffung der Massenparteien und ihres Themenmonopols. Das zu tun käme einem Frontalangriff auf die repräsentative Demokratie gleich, einer gefährlichen und leicht falschverstandenen Haltung. Es hingegen nicht zu tun verdammt jedoch das Plädoyer für „Staatsbürgerschaft“ und „republikanische“ aktive Beteiligung dazu, bloße Rhetorik zu bleiben. Das Weiterbestehen eines linken Diskurses ist damit zwar gesichert – das mag für Intellektuelle tröstlich sein –, doch es gibt keine Garantie für eine effektive linke Politik demokratischer Reform.
Liegt die Antwort vielleicht darin, den Beriff der „zivilen Gesellschaft“ stärker zu betonen? Wenn sich an der geringen Wahlbeteiligung sowie dem Monopol der großen Parteien nichts ändern läßt, können sie dann vielleicht überwunden werden?
Im Lauf dieses Jahrhunderts hat die Macht des Staates in den westlichen Demokratien stetig zugenommen. Der Staat stellt eine große Reihe lebenswichtiger Güter und Dienstleistungen zur Verfügung, auf die seine Bürger nicht verzichten können. Soziale Bewegungen können den Staat nicht ersetzen, weil gerade in entwickelten demokratischen Gesellschaften die Gemeinschaft der Staatsbürger weder homogen noch dem Staat gegenüber abgegrenzt ist. Großbritannien zum Beispiel ist nicht im entferntesten mit Polen zu vergleichen. Die britische Gesellschaft ist vielfältig, charakterisiert durch viele konkurrierende und gegensätzliche Interessen. Die „neuen sozialen Bewegungen“ machen dabei nur eine Minderheit aus. Schwule oder schwarze Aktivisten können beispielsweise nicht hoffen, den Staat zu zerschlagen oder abzulösen.
Im Gegenteil kämpfen solche Bewegungen weiterhin um Einfluß auf die großen Parteien und die Politik der nationalen oder lokalen Regierung. Indem er mit seiner „Sozial“-Politik in die zivile Gesellschaft hineinreicht, indem er offen ist für einen gewissen Grad an Einfluß derjenigen, die ihre Rolle akzeptieren, kann der demokratische Staat eine kohärente außerparlamentarische Opposition leicht verhindern. Letztlich werden die Aktivisten mit der Möglichkeit einer Beteiligung an Entscheidungen, Sonderprogrammen, Gesetzen oder staatlichen Subventionen eingekauft.
Diese Argumente mögen pessimistisch wirken und das Engagement für politische Reformen unterlaufen, das vielen Linken als größte Hoffnung auf politischen Einfluß gilt. Sie sollen die Argumente für die Demokratisierung nicht entkräften, sondern lediglich die Probleme einiger Vorgehensweisen der neuen demokratischen Linken aufzeigen. Westliche repräsentative Demokratien sind eine merkwürdige Mischung aus Erfolg und Scheitern. Sie legitimieren die Macht der Regierung, nehmen jedoch einen geringen Umfang von Bürgerbeteiligung und staatlicher Verantwortung in Kauf. Zum Teil haben sie Erfolg, weil sie vom gewöhnlichen Wähler wenig fordern – minimale Anstrengung und minimales Wissen –, während sie ihm mit dem Vetorecht ein sehr reales und wertvolles Machtinstrument an die Hand geben.
Die Institutionen der westlichen Demokratien können nicht direkt in Frage gestellt oder ersetzt werden. Die Erfahrung des letzten Jahrhunderts erzeugte eine Angst der Wähler gegenüber jeder Partei oder Gruppe, die für ein anderes Sytem als die Mehrparteiendemokratie eintritt. Repräsentative Demokratie kann lediglich ergänzt werden, und zwar nur auf eine Art, die die großen Parteien akzeptieren und die Wähler billigen. Wie kann man dann mit neuen Demokratisierungsstrategien auf die Schwächen reagieren und zugleich mit den Konsequenzen der minimalen Bürgerbeteiligung und der Vorherrschaft der großen Parteien zurechtkommen? Es gibt drei wesentliche Ansätze:
Erstens lassen sich die ökonomischen Probleme der westlichen Industrieländer zur Verstärkung demokratischen Einflusses nutzen. Wenn weder die sozialistische Planwirtschaft noch die kapitalistische freie Marktkwirtschaft effektive Strategien zur Steuerung der Wirtschaft anbieten, kann die Alternative nur in der Koordination der großen Interessen der Gesellschaft sowie der Konsensfindung durch Verhandlungen von Interessengruppen bestehen. Das impliziert eine kollektive Vertretung der wichtigen organisierten Interessen. Die kollektive Vertretung kann demokratische Bestrebungen also fördern, indem sie den Einfluß der Öffentlichkeit auf die Regierung verstärkt, anstatt ihn – wie viele Kritiker des Korporatismus meinen – zu untergraben.
Korporatismus ist nur dann eine Bedrohung für die Demokratie, wenn man voraussetzt, daß es eine einzige legitime Form öffentlicher Beteiligung gibt – Wahlen in territorial festgelegten Wahlkreisen – und daß der „souveräne“ Staat dem Willen des Volkes durch legislative und administrative Akte Ausdruck verleiht.
Eine solche Haltung billigt gerade diejenigen Charakteristika des modernen demokratischen Staates, die am dringendsten hinterfragt werden müssen. Die Konzentration der Macht in zentralisierten „souveränen“ Staaten vergrößert das Problem demokratischer Verantwortung auf unangenehme Weise, denn sie schafft ein Monopol auf Information und Verwaltungsmacht und macht ständig neue und komplexere Strategien zur Einflußnahme erforderlich. Indem er die Bedeutung von Koordination, Verhandlung und Einfluß betont, die Verflechtung von Staat und Gesellschaft betreibt und vor allem öffentliche/private Netze der Einflußnahme und politischen Betätigung aufbaut, kann der Korporatismus zur Dezentralisierung des Staates beitragen. Rein politische Reformen werden die großen Parteien wahrscheinlich nicht akzeptieren. Die radikaleren Parteien mögen politischen Veränderungen zustimmen, wenn sie mit neuen Strategien zur Wirtschaftslenkung verbunden sind. Ökonomische Probleme werden, wenn sie drängend genug sind, zu institutionellen Innovationen führen.
Dennoch können informelle oder quasiformelle korporatistische Vereinbarungen die entstehenden Probleme nicht beseitigen. Staat und Parteiregierungen sind die Hauptnutznießer der Massendemokratie, und sie können – unter Verweis auf ihr demokratisches „Mandat“ – immer gegen die informellen Kanäle öffentlichen Einflusses und quasiformeller kollektiver Vereinbarungen handeln. Die konservative Regierung in Großbritannien tut das seit 1979.
Formale verfassungsmäßige Garantien und die gesetzliche Verankerung von politischen und Bürgerrechten können die konzentrierte „souveräne“ Macht bestenfalls abmildern. Die repräsentative Demokratie kann nämlich dazu benutzt werden, den weiteren Pluralismus politischen Einflusses zu unterminieren, der die gesellschaftliche Grundlage einer genuinen Demokratie ist.
Zweitens: Die langfristige Lösung dieses Problems ergibt sich aus der „Pluralisierung des Staates“. Anstelle einer einzigen „souveränen“ Legislative, die mit einer Fülle von Macht ausgestattet ist – also die Möglichkeit hat, alle untergeordneten gesellschaftlichen Organe zu kontrollieren und zu definieren, und die Macht besitzt, jegliche soziale Aufgabe zu übernehmen und zu überwachen –, verleiht der plurale Staat funktionalen, regionalen und lokalen Autoritäten größere Autonomie und reduziert, indem er die Rolle der Zentralregierung einschränkt, die Themenfülle bei den Parlamentswahlen.
Ein so verstandener Pluralismus schafft mehr Raum für organisierten Einfluß, da er spezifische Gruppen von Bürgern repräsentiert, und vergrößert den Spielraum für eine Interaktion von öffentlichen Körperschaften und der Gemeinschaft der Bürger. Pluralismus bietet die Möglichkeit zur gegenseitigen Durchdringung von Staat und Gesellschaft. Pluralismus schafft Raum für ein aktives Gemeinwesen von Bürgerverbänden und erlaubt diesen selbstbestimmten Assoziierungen eine stärkere Beteiligung an gesellschaftlichen Aufgaben.
Pluralismus im englischen Sinne war traditionell eine antikollektivistische und antistaatliche Doktrin; aber sie widersetzte sich stets den unpolitischen Ideen direkter kommunaler Demokratie, dem Syndikalismus und der marxistischen Idee einer von der Arbeiterklasse getragenen Volksdemokratie. Pluralismus wehrt sich dagegen, daß die Gesellschaft nur ein einziges Interesse haben könnte, einen einzigen „allgemeinen“ Willen, oder daß politische Macht sich in den Händen einer gesellschaftlichen Gruppe oder Funktion konzentriert. Aber er berücksichtigt die Notwendigkeit einer Macht des Volkes, welche die Macht untergeordneter Autoritäten reguliert, ohne sie zu vereinnahmen.
Der dritte Punkt betrifft die Zukunft des Sozialismus. Sozialismus kann mit Demokratisierung als langfristigem Ziel und kurzfristig mit neuen Formen der Marktregulierung verbunden werden. Sozialismus muß sich vom Kollektivismus und einem Konzept des Staates als Instanz zentraler Planung und bürokratischer Wohlfahrtsverwaltung lösen. Diese Institutionen stellen nur einen Aspekt der sozialistischen Tradition dar, und sie betreffen ein gesellschaftliches Modell, das mit stärker libertären Formen des Sozialismus konkurriert. Ich behaupte hier, daß der plurale Staat kompatibel ist mit dem Projekt eines „Sozialismus durch Assoziierung“ – der die Aufgaben gesellschaftlicher Organisation und ökonomischer Aktivität selbstbestimmten, freiwilligen Zusammenschlüssen von Bürgern überträgt. Politischer Pluralismus schafft Raum für eine Gemeinschaft selbstbestimmter Assoziierungen, während die zentrale „souveräne“ Staatsmacht dazu tendiert, diesen Raum strikt zu begrenzen und hierarchisch geführte Firmen in Privatbesitz zu bevorzugen, die von ihrem Aufbau her den staatlichen Prinzipien von Hierarchie und Machtkonzentration näherstehen.
Dieser „Sozialismus durch Assoziierung“ ist eins der möglichen Vorhaben in einer pluralistischen Gesellschaft mit gestreuter und föderativ organisierter politischer Macht; aber das Projekt muß freiwillig verfolgt werden und soll nur aufgrund der ihm eigenen friedlichen Bestrebungen Unterstützung finden. Ein pluralistisches Modell von Staat und Gesellschaft muß neben dem Sozialismus anderen Konzepten Entwicklungsmöglichkeiten einräumen, aber dem Aufbau vergesellschafteter Institutionen eine Chance geben. Das Bestreben, die Macht in den Händen eines Zentralstaates zu monopolisieren, der Gesellschaft ein sozialistisches Modell aufzuzwingen, führte zum Ruin des Sozialismus. Er muß seine eigenen Institutionen schaffen, wie die Kooperativen, die Bruderschaften und die Künstler- und Handwerkerkolonien es versucht haben. Der Sozialismus muß durch Freiwilligkeit und autonome Anstrengungen in der zivilen Gesellschaft verankert werden.
Eine erweiterte Version dieses Aufsatzes erscheint in Paul Hirsts Buch „Representative Democracy And Its Limits“ (Oxford 1990).
Paul Hirst ist Professor für Sozialwissenschaften am Birkbeck College in London.
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