: Soundcheck
Heute: Mísia. Im Fall portugiesisch singender Exportartikel lautet das Begehr des Publikums für gewöhnlich: schwermütig gehauchte Nostalgie und Leidenschaft, vorgetragen mit Stil und Eleganz. Des Hörers Wunsch ist Mísia Befehl. Natürlich frönt die gern als Nachfolgerin von Amália Rodrigues gepriesene Künstlerin mit der schönen Stimme besonders dem Fado, jenem nationalen Liedgut, dessen Name sich vom lateinischen fatum (Schicksal) herleitet und über dessen brasilianisch-portugiesisch-arabischen Ursprünge Spezialisten gerne diskutieren. Natürlich bestimmt die saudade, der portugiesische Weltschmerz, ihr Timbre. Und natürlich dürfen das weiß geschminkte Gesicht, die rote Robe und das schwarze, über die Schulter gelegte Tuch nicht fehlen, wenn die Diva auf der Bühne in inszenierten Posen des Leids der Katharsis zustrebt. Portugal, wie es singt und bloß nicht lacht. So weit, so bekannt und doch so blutarm.
Mísia verkörpert den wahr gewordenen Traum der portugiesischen Tourismuszentrale, als würde sie gesponsert mit herzlichen Grüßen des Kulturministeriums. Es wird kaum Zufall gewesen sein, dass sich Mísia ausgerechnet zur Eröffnungsfeier der Lissaboner Weltausstellung 1998 erstmals international dem Publikum präsentieren konnte. Der Gastauftritt des brasilianischen MPB-Stars Maria BethÛnia an ihrer Seite minimierte das Restrisiko, das Empfehlungsschreiben des damaligen Literaturnobelpreisträgers in spe, José Saramago, machte die Show narrensicher. Überhaupt sorgt nicht zuletzt das Schmuckwerk großer Namen für Mísias Einzug in die erlesenen Presse-Feuilltons. Mit Vorliebe vertont sie die Lyrik großer lusitanischer Dichter. Neben Saramago presst sie Sá-Carneiro, Carlos Drummond de Andrade und, natürlich, Fernando Pessoa das Wort ab. Seltsam, dass Mísia dem tristen Fernando nicht auch einen Song widmete, wie sie dies für Pedro Almodovar, Manoel de Oliveira und andere tat. Weil Tote nicht klatschen können?
Geschickt ordnet sich Madame so dem Bildungsbürger-Kontext zu, aus dem ihre Kunden stammen sollen. Gäbe es seine Talkshow noch, Roger Willemsen hätte Mísia sofort geladen. Ihm wäre klar gewesen: Da läuft nichts schief mit der Sängerin aus Portugal. Gewiß nicht. Marcelo Millot
20 Uhr, Musikhalle
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