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Sorgen, nichts als Sorgen

Muss man für diese armen, jungen fehlgeleiteten Gewalttäter Verständnis haben?

Mal kurz eine Frage: Machen Sie sich auch diese Sorgen um die vielen fehlgeleiteten jungen Menschen? Beunruhigen Sie diese schlimmen Schicksale?

Nehmen wir doch mal ein Beispiel. Eins, das uns jetzt dauernd vorgeführt wird. Irgendein junger Mann aus einer ostdeutschen Platte. Einer dieser Jugendlichen. 24 Jahre alt, mitten in der Pubertät vom Kapitalismus überrannt, seitdem künstlich in ABM-Maßnahmen am Leben gehalten, ohne Zukunftsperspektive. Vom vielen Schnaps hat er ganz schlechte Haut, kriegt keine Freundin ab, nirgendwo in der gottverlassenen Gegend gibt es einen, der ihm die Haare mal nett schneiden kann und außerdem hat er null Aussicht, jemals einen tollen Job zu bekommen – nichtmal bei Big Brother.

Ist das nicht schrecklich? Und ist das nicht nur zu verständlich, dass er seine ohnmächtige Wut an Leuten auslässt, die ihm alles wegnehmen? Liegt es nicht auf der Hand, dass so einer Zuflucht in einer Gemeinschaft sucht, die ihn ernst nimmt und mit der er dann gelegentlich Neger verfolgt, die ihm die Frauen ausspannen, Schlitze klatscht, die seine ABM-Stellen kriegen, und obdachlose Parasiten ausmerzt, weil die bald seine Wohnung besetzen werden? Ja, jetzt sagen Sie doch mal, muss man nicht für diesen jungen Mann Verständnis haben und versuchen, ihn in die Gesellschaft zu integrieren?

Ich habe mal darüber nachgedacht, und ich finde – nö! Wissen Sie was? Der ist mir scheißegal. Mal ganz davon abgesehen, dass die meisten dieser Visagen eher 24 als jugendlich, gar nicht arbeitslos sind und eine Wohnung im Plattenbau immerhin eine Wohnung ist – man geht nicht auf die Straße und haut Leute tot. Der einzige Antrieb, so etwas zu tun, ist der, dass man es tun will. Warum sollte man für so einen Verständnis haben? Der soll sowas nicht mehr tun können. Ist mir auch völlig egal, wie er daran gehindert wird. Möglichkeiten dazu gibt’s doch reichlich. Das Strafverfolgungsnetz dieses Landes ist doch spätestens seit der RAF-Hysterie in den Siebzigern so dicht geknüpft, dass man das beenden könnte, oder?

Man muss natürlich aufpassen, dass die Polizeieinheiten, die man auf so einen loslässt, nicht ausschließlich aus dem Milieu zusammengesetzt sind, das nichts dagegen hat, wenn ein paar Kanacken mal was auf die Fresse bekommen. Man sollte sich vielleicht auch nicht auf die jetzt geforderte Zivilcourage der Bevölkerung verlassen. Erstens ist es ein bisschen viel verlangt, dass zum Beispiel ich mich demnächst ganz ohne Bleiweste und Vollvisierhelm einem Rudel Glatzen zum Abstechen entgegenwerfe. Und zweitens dürfen Politiker, die wie Gerhard Schröder mit eindeutigen Avancen an NPD-Wähler („Kriminelle Ausländer müssen raus, und zwar schnell!“) erst Wähler gewonnen haben, dann nicht ausgerechnet von genau diesen Wählern zivilisiertes Verhalten erwarten.

Es wird wohl weiterhin nicht ganz einfach mit der Bekämpfung der so genannten rechten Gewalt. Man weiß ja gar nicht, wo man anfangen soll. Ich weiß bloß eins, ganz bestimmt nicht mit Verständnis für die Täter. Dazu sollte es doch sogar in diesem Land reichen. Aber vielleicht ist auch das noch zu naiv gedacht.

FRITZ ECKENGA

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