■ Indien: Trotz Verlusten kann die rechte BJP weiter regieren: Sonia allein genügt nicht
Die dritte Wahl in drei Jahren – und schon wieder ein Parlament, in dem keine Partei eine Mehrheit besitzt und Kleingruppierungen wechselnde Koalitionen ermöglichen.
Ist Indiens Demokratie zur Instabilität verurteilt, das hilflose Opfer des Mehrheitswahlrechts, das zahllose Parteien ins Parlament schwemmt? Ist die größte Demokratie der Welt dabei, das System ad absurdum zu führen, indem sie die Vielfalt einer Milliardengesellschaft im Parlament spiegeln will? Seit 1991 herrschen in Delhi Regierungen, die für ihr Überleben vom Gutdünken formeller oder informeller Koalitionspartner abhängen. Ist Indien ein zu großes Land, um die zahllosen Interessen unter den Hut einiger weniger Parteien zu bringen?
Die Mehrheitsverhältnisse der jüngsten Wahl gleichen nur auf den ersten Blick den vorangegangenen. Wiederum kommt zwar keine der großen Parteien – weder die Kongresspartei noch BJP – auch nur nahe an die Mehrheitsgrenze. Und wiederum haben Regionalparteien besonders erfolgreich abgeschnitten. Doch es scheint, dass die Politiker aus ihrer Erfahrung gelernt haben.
Die BJP hat sich und ihre Partner in eine gemeinsame Wahlplattform eingebunden. Und von den verbündeten Regionalparteien haben jene am besten abgeschnitten, welche ihren Einfluss in Delhi nicht mit Destabilisierungsversuchen auszuüben pflegen. Es ist ein Signal, dass die Wähler einer starken BJP mit einer radikalen Agenda misstrauen. Stattdessen wünschen sie eine Regierung, die durch ihre Bindung an die eigene Region ihre Grundbedürfnisse nicht aus den Augen verliert.
Die Kongresspartei ist jene Gruppierung, die noch immer versucht, alle gesellschaftlichen Interessen und Fraktionen unter ihrem Parteisymbol zu sammeln. Sie hat nun den Preis dafür bezahlt. Falls die vorliegenden Hochrechnungen zutreffen, wird sie die schwerste Niederlage ihrer Geschichte erleiden. Das Ausspielen der dynastischen Karte mit Sonia Gandhi als Spitzenkandidatin hat offensichtlich wenig genützt. Die WählerInnen haben zwar die fremdenfeindliche Kampagne der BJP gegen Sonia Gandhis italienische Herkunft zurückgewiesen, indem sie Gandhi ihre beiden Mandate gewinnen ließen. Aber die Inder haben gleichzeitig deutlich gemacht, dass ein Name und ein Gesicht allein nicht genügen, um ein Land mit einer Milliarde Menschen – und, wie V.S. Naipaul sagte, mit einer Million Aufständen – zu regieren. Bernard Imhasly
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