Sommerpressekonferenz: Scholz hat die Symbolik umgekehrt
Wo Merkel einst ihren berühmten Satz sagte, kündigt der Kanzler nun Abschiebungen nach Syrien an – und hat damit den Anschluss zur Mitte verloren.
O laf Scholz baut seinen Ruf als Abschiebekanzler aus, dafür ist ihm nicht einmal die Symbolik der Berliner Sommerpressekonferenz zu schade: Neun Jahre ist es her, dass hier mit Angela Merkel eine Bundeskanzlerin von der CDU zur Aufnahme von Geflüchteten aus Syrien und Afghanistan die Losung ausgab: „Wir schaffen das.“ Scholz, ihr Nachfolger von der SPD, nutzte dieselbe Bühne am Mittwoch für die Ankündigung, dass Deutschland bald wieder nach Syrien und Afghanistan abschieben werde.
Beim Thema Migration, aber auch beim Krieg in Gaza zeigt sich, dass der Kanzler wirklich so unfähig zur Empathie ist, wie es ihm nachgesagt wird. Damit wird er bei der kommenden Wahl nicht bestehen – auch wenn er es selbst nicht wahrhaben will und schon mal ankündigte, wieder kandidieren zu wollen.
Der Bundeskanzler verbuchte es als seinen Erfolg, dass in diesem Jahr die Abschiebezahlen um 30 Prozent gestiegen sind. Scholz wirkte bei der Pressekonferenz sichtlich froh über diese Leistung. Rhetorisch ist er damit nah bei Horst Seehofer, der sich 2018 als Innenminister von der CSU über 69 Abschiebungen nach Kabul an seinem 69. Geburtstag gefreut hatte, während zeitgleich die Taliban das Land zurückeroberten. Es ist kaum vorstellbar, dass innerhalb der SPD diese Analogien nicht auch gesehen werden. Nur was folgt daraus?
Vermutlich nichts. Fast wirkt es, als seien die progressiven Kräfte in Deutschland entweder zu ausgebrannt für jegliche Debatte oder einfach faul geworden. Dass Scholz diese intellektuelle Langeweile gut verkörpert, ist nichts Neues. Tragisch ist aber seine gleichzeitige Selbstverliebtheit, die ihn tatsächlich blind zu machen scheint. Wer keine humanistischen Positionen vertreten will, sollte wissen, dass sich in Deutschland auch mit humanistischer Rhetorik Wahlen gewinnen lassen – Merkel wusste das und setzte es geschickt ein.
Ein außenpolitischer Hammer
Mit ihrem Auftritt bei der Sommerpressekonferenz 2015 wurde sie zu einem Symbol einer neuen deutschen Integrität und Menschlichkeit und konnte damit auch in der progressiven Mitte Wahlen gewinnen. Scholz hat diese Gruppe verloren.
Mit seinen Argumenten ließ der Kanzler mal wieder tief blicken. Beim Thema Migration gab er neben der Abschiebeoffensive die Interpretation zum Besten, Immigration müsse sich für Deutschland lohnen, denn es könne nicht sein, dass sich „hier jemand einen bequemen Lenz macht“.
Deutschland brauche Leute, „die hier gut reinpassen, die fleißig sind“. Wer genau hinhört, kann hier die dog whistle des Kanzlers vernehmen, mit der er für Kenner darlegt, dass „Abschiebungen“ und „faule Ausländer“ kein unzusammenhängendes Begriffspaar mehr sein muss.
Außenpolitisch hatte Scholz etwas zu präsentieren, das sich noch als echter außenpolitischer Hammer entpuppen könnte. Gemeint ist hier nicht sein Festhalten an Waffenlieferungen nach Israel, das an sich schon einer moralischen Bankrotterklärung gleich kommt.
Moralische Bankrotterklärung
Gemeint ist die „Vorbereitung“ von Abschiebungen von Syrer*innen, die eine Zusammenarbeit mit der syrischen Administration und dem Schlächter Baschar al-Assad voraussetzen würde. Glauben der Kanzler und seine Partei ernsthaft, mit solchen moralischen Verrenkungen aus dem Umfrageloch zu kriechen – und wenn ja, wäre es das wert?
Der moralische Kompass des Kanzlers braucht eine Neujustierung. Das zeigte sich auch bei Scholz Antworten zum Krieg in Gaza und dem Gutachten des Internationalen Gerichtshofs, das Israels Siedlungspolitik als völkerrechtswidrig bewertet hatte. Scholz spulte den deutschen Standard-Sprech ab, Deutschland stehe weiter hinter einer Zwei-Staaten-Lösung und führe Gespräche mit beiden Seiten.
Dass es für die verbliebenen progressive Kräfte auf jenen „beiden Seiten“ in Israel und Palästina ein Schlag in die Magengrube ist, dass Deutschland weiterhin Waffen an die israelischen Streitkräfte liefern würde, ist dem Kanzler sichtlich egal.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste