: Solidarnosc übt Selbstkritik
■ Das Warschauer Regionalkomitee der polnischen Gewerkschaft fordert, die Taktik des bloßen Boykotts aller offiziellen Institutionen aufzugeben / Elf Oppositionelle appellieren an Gorbatschow
Warschau (ap/afp) - Mitglieder der verbotenen Gewerkschaft „Solidarität“ haben in einem Papier Kritik an dem Erscheinungsbild der Organisation in der Vergangenheit geübt und eine neue Strategie gefordert, die ein verstärktes Engagement in der Öffentlichkeit einschließt. Das Dokument stammt vom Warschauer Regionalkomitee der Gewerkschaft und ist von acht Aktivisten unterzeichnet. Es wurde am Samstag westlichen Medien zugänglich gemacht, datiert aber vom 13. Dezember 87. Solidarnosc–Sprecher Onyszkiewicz sagte, das Papier basiere auf einer Erklärung der Gesamt gewerkschaft vom 6. Dezember, in dem bereits die Forderung nach neuen Initiativen der „Solidarität“ erhoben werde. In der von Onyszkiewicz erwähnten Erklärung wird eingeräumt, daß die bisherige Taktik von Solidarnosc, sich nur auf geheime Aktionen zu stützen, nicht weiterentwickelt werden könne und in eine Sackgasse führe. „Deshalb sollte die Gewerkschaft ihre alte Taktik des bloßen Boykotts aller offiziellen Institutionen aufgeben“, sagte Onyszkiewicz. Das Warschauer Regionalkomitee geht in seiner Selbstkritik an dem Erscheinungsbild von Solidarnosc in der Vergangenheit noch weiter als die Gewerkschaftsführung. Die Gewerkschaft habe sich zu lange „ausschließlich mit symbolischen Aktionen“ befaßt, wobei das rein moralische Verhalten und die unnachgiebige Verneinung mehr gezählt habe als der Versuch, jede Möglichkeit zu nutzen, um den Rückhalt in der Gesellschaft zurückzugewinnen, heißt es. Elf polnische Oppositionelle, die sich seit vergangenem Montag im Hungerstreik befinden, haben den sowjetischen Parteichef Gorbatschow in einem offenen Brief gebeten, sich bei der polnischen Regierung für die Freilassung von inhaftierten Wehrdienstverweigerern einzusetzen.
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