■ Zur drohenden Kriminalisierung des „Tucho“-Zitats: Soldaten sind Kinder!
Bald wird es vielleicht verboten sein, und darum will ich die Gelegenheit nutzen und das alte Tucholsky-Wort noch einmal laut sagen: „Soldaten sind Mörder!“
Dabei stehe ich gar nicht hinter diesem Satz. Ich schicke ihn nur um der Meinungsfreiheit willen in die Welt. Er gefällt mir nicht, weil er juristisch ungenau ist: Mord im Unterschied zu Totschlag setzt niedrige Beweggründe voraus, die bei Soldaten im allgemeinen gar nicht vorhanden sind. „Soldaten sind Totschläger“ wäre die juristisch korrekte Formulierung – aber das ist unrhythmisch und verfehlt die Tatsache, daß es aus der Mode gekommen ist, seinen Feind totzuschlagen; das Strafrecht hat sich an die neuen Methoden terminologisch noch nicht angepaßt.
Der Satz gefällt mir aber auch deshalb nicht, weil mir Soldaten leid tun. Wenn sie mit blutigen Händen und seelisch traumatisiert nach Hause kommen, sind nicht sie schuld, sondern die Erwachsenen, die sie in diese Lage gebracht haben. „Soldaten sind Kinder!“ – dieser Spruch käme mir aus dem Herzen, und ich würde ihn gern auf mein Auto kleben. Die niedrigen Beweggründe, die ich anprangern möchte, finden sich nicht bei den jungen Soldaten, sondern bei denen, die Tucholsky „geldgierige Kanonenfabrikanten und reklamierte Redakteure“ nannte – denn sie sind wieder am Werk. Sie nutzen die Friedensmission in Bosnien für den Abbau des generellen Tötungstabus, das in der Geschichte der Menschheit langsam, langsam anwächst und nach dem Zweiten Weltkrieg, zumal während des Vietnamkrieges, großen Fortschritt gemacht hatte.
Man muß gar kein Pazifist sein, um auf die Wahrheit hinzuweisen, daß Soldaten eine grausame, atavistische Tätigkeit ausüben. Auch wenn man einsieht, daß die Welt eine Einrichtung ist, in der manchmal durch das Töten weniger der Tod vieler verhindert werden kann und muß, möchte man den Akt in seiner Scheußlichkeit allen Beteiligten ins Bewußtsein bringen. Nur so hat die Menschheit die Chance, sich langsam, aber sicher aus der Falle zu befreien, in der sie seit Kain und Abel steckt: durch die Tabuisierung des Tötens schlechthin, auch das des Feindes im Krieg.
Tucholsky war ein Anwalt dieses Tabus. Jetzt will man ihm den Prozeß machen. Sibylle Tönnies
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen