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Soden klopfen, Löcher stopfen

■ Ohne die „Klopfer“ läuft bei der Horner Galoppwoche nichts: Sie halten das Geläuf in Schuß

Viel ist vom Rasen nicht mehr nach. Der größte Teil des Geläufs ist mit Kuhlen und Löchern übersät, die an manchen Stellen knöcheltief sind. Wo die Pferde gestartet werden, ist es besonders schlimm: Die Grassoden liegen dort gleich haufenweise herum. Dutzende von Hufpaaren und bis Sonnabend fast 80 Rennen haben ihre Spuren hinterlassen – die Strecke sieht teilweise aus wie ein nicht zu Ende gepflügter Acker.

„Da ist kaum noch was zu machen“, erkennt Stefan sofort mit fachmännischem Blick. Der junge Mann Anfang 30 gibt dennoch nicht auf. Das wäre gegen die Berufsehre eines „Klopfer-Reinigers“. So heißen all jene Aushilfskräfte, die neben dem Bahnmeister für die Instandhaltung des Geläufs in Hamburg-Horn verantwortlich sind und in den Rennpausen weitgehend unbemerkt ihren Auftritt haben.

Also dreht Stefan ein herausgetretenes Rasenstück oder was davon noch übrig ist wieder um und versucht es im Grün – dieser Regentage eher ein matschiges Braun – festzutreten, so gut es eben geht. Sein Arbeitsgerät, den anderthalb Kilo schweren Holzklopfer mit langem Stiel, braucht er dazu nicht mehr. „Der Boden ist total aufgeweicht“, sagt er und vertraut auf seine Gummistiefel, deren ursprüngliche Farbe vor lauter Schlamm und verschmierter Erde nicht mehr eindeutig zu ermitteln ist. Ein gezielter Fußeinsatz und der Boden ist an der Auftrittstelle halbwegs eben, die Sicherheit für Roß und Reiter wieder hergestellt.

Zusammen mit rund 60 weiteren Kollegen ist Stefan seit vorletztem Freitag im Einsatz, als die 127. Horner Galopprennwoche begann: täglich von 11 bis 23 Uhr, außer Montag und Donnerstag, „weil da keine Rennen laufen“. Bis zu einem Dutzend Wettbewerbe gehen an einem Veranstaltungstag über die Bahn. In Achtertrupps sind die Helfer unterwegs, meistens nebeneinander, den Blick nach unten gerichtet. Fünfzehn Mark gibt es dafür pro Stunde und Nase. Jede Gruppe ist für einen Abschnitt der 2 000 Meter langen Bahn zuständig. Die Standorte werden jeden Tag gewechselt – der Gerechtigkeit wegen. „Die einzelnen Streckenteile sind unterschiedlich anstrengend“, erklärt Stefan. Vor allem die Startbereiche hätten es in sich. Je nach Länge des Rennens wird an verschiedenen Stellen losgaloppiert, weil die Ankunft immer vor der Haupttribüne sein muß.

Zusätzlich zum Klopfen räumen die Helfer nach Abschluß des Renntages die Anlage wieder auf. „Die Wettscheine nerven“, schimpft Stefan über die Nachlässigkeit der mehr oder minder VIPigen Besucher, von denen gestern 50 000 die Anlage bevölkerten. Zu Hunderten liegen die Schnipsel auf dem Boden verstreut herum, die Zeugnisse gescheiterter Träume vom großen Geld.

Die meisten seiner Mitstreiter – gut ein Drittel sind Frauen – haben wie Stefan Urlaub genommen, einige arbeiten während der Derby-Zeit zusätzlich zu ihrem eigentlichen Erwerbsjob. Vollzeit-Klopfer gibt es nicht. Wovon sollten sie auch leben? Nur während der Derby-Woche ist auf dem 64 Hektar großen Gelände, das sonst als Naherholungsgebiet genutzt wird, einmal im Jahr richtig etwas los.

Doch derzeit bestimmen die Pferde das Leben auf der Anlage und nicht Spaziergänger. Einen besonderen Bezug zu den edlen Vierbeinern, die über 60 Kilometer pro Stunde schnell laufen können, hat Stefan jedoch nicht. „Na ja, manche sind schon ganz schön anzusehen“, hält sich die Tierliebe des hauptberuflichen Sachbearbeiters in Grenzen, „eigentlich mache ich es wegen der Kohle.“ Das sei bei fast allen so.

Schon vergangenes Jahr war Stefan dabei. Ein Bekannter hatte ihm vom Job auf der Rennbahn erzählt. „Dieses Mal ist mehr zu tun, wie immer, wenn es viel regnet.“ Das Geläuf ist sehr weich, „Bodentiefe sieben“, schätzt Stefan. Ein Wert zwischen vier und fünf sei optimal, hat er gelernt. „Der Untergrund gibt nach, die Pferde sinken aber nicht zu stark ein“, klopft Stefan ein wenig auf den Busch, „letztes Jahr war es zu trocken.“

Nicht jeder sei als Klopfer geeignet, sagt er nicht ohne Stolz. Vorgeklopft werden müsse zwar nicht, die Veranstalter achten inzwischen aber schon darauf, daß nur zuverlässige Mitarbeiter engagiert werden – aus gutem Grund. Vor ein paar Jahren hatte es sich der Hamburger Rennclub von 1852 leicht machen wollen und einfach Jugendliche aus der Gegend von der Straße weg engagiert. „Die lagen nur faul hinter den Büschen und haben sich gesonnt“, hat sich Stefan erzählen lassen.

Er würde so etwas nicht tun, dafür hätten sie viel zu viel Verantwortung. „Der Veranstalter muß dafür haften, wenn einem Tier wegen eines Platzfehlers etwas passiert“, hatte ihn vorher sein Chef zu Sorgfalt gemahnt. Außerdem will Stefan seinen Job behalten, obwohl man „von den Rennen und dem ganzen Drumherum gar nicht so viel mitbekommt.“ Meist sehen die Klopfer nur die hinfortpreschenden Pferde. Spätestens dann, wenn die hinter einem der Bögen verschwunden sind, geht alles wieder von vorne los. Die Krater müssen weg, das nächste Rennen wartet schon.

Clemens Gerlach

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