Portrait: „So wie Stich“
■ Die Berliner Eisschnellauf-Olympiasiegerin Claudia Pechstein wird wieder nicht berühmt
Die nacholympische Tournee zieht sich, und wenn sie ein vorzeitiges Ende fände, hätte wohl keine Eisschnelläuferin etwas dagegen. Auch Claudia Pechstein nicht. Die Weltcup- Rennen von Inzell liegen hinter ihr, ebenso die Mehrkampf- WM in Heerenveen, bei der sie am Sonntag Silber hinter Gunda Niemann-Stirnemann gewann. Doch vor dem Urlaub folgen an den nächsten Wochenenden noch das Weltcup-Finale in Milwaukee und die Einzelstrecken-WM in Calgary. „Blöde Planung“, hat Pechstein schon nach Inzell gemault, „es war schwer, sich zu motivieren.“
Kein Wunder. Der Höhepunkt der Saison, Olympia in Nagano, ist vorüber. Und Claudia Pechstein hat dort all das erstritten, wonach sie sich sehnte: Ruhm, Anerkennung, Geld. Zunächst Medaillen in Silber (über 3.000 Meter) und Gold (über 5.000), anschließend TV- Einladungen und Sponsorenverträge. Einen Reigen an Ehrungen hat sie empfangen und Thomas Gottschalk ihr in „Wetten, daß...?“ die Schenkel gestreichelt. Claudia Pechstein ist mit 26 endlich aufgestiegen in den Kreis gefragter Sportgrößen. Vorerst zumindest.
Denn ob sie über das olympische Nachspiel hinaus den Liebling der Medien und Massen geben darf, weiß noch keiner. „Ein Star in ihrer Sportart ist sie längst“, sagt Manager Werner Köster. Aber ob sie sich festsetzen wird in der Riege der schwerreichen Prominenz, dazu schweigt auch er. Dabei müßte Köster es wissen; er verwaltet seit Jahren die Berühmtheit von Franziska van Almsick.
Denn bei Pechstein mußte erst Nagano kommen, ehe sie ordentlich Publicity bekam. Andere waren interessanter: die alerte Franziska Schenk oder Deutschlands Erfolgreichste, Gunda Niemann-Stirnemann. Pechstein wurde bis dahin nie so richtig zur Kenntnis genommen, nicht einmal 1994, als sie zum ersten Mal Olympia-Gold holte. Warum, darüber hat Köster eine Theorie entwickelt: Man habe damals mehr mit der gestrauchelten Favoritin Niemann getrauert als sich über den Erfolg der jungen Pechstein gefreut. „So wie Stich nicht die Begeisterung weckte, als er im Wimbledon-Finale Becker schlug.“
Vermutlich lag es aber auch daran, daß Pechstein gewisse Eigenschaften fehlen. Im Vergleich mit Schenk etwa. Die hat Köster einmal erlebt, wie sie vor hochrangigem Publikum eine Rede hielt, frei, trotzdem geschliffen. „Das ist schon toll“, schwärmt Köster und müßte schon sehr voreingenommen sein für Pechstein, wenn er bei ihr ähnliche Fähigkeiten sähe.
Claudia Pechstein ist eben keine vielseitig interessierte Studentin, sondern Beamtin des Bundesgrenzschutzes, die all ihr Streben auf den Sport ausgelegt hat. Fleißig ist sie, ehrgeizig und zäh, aber außerhalb der Eisbahn wirkt sie oft wie eine tapsige Arbeiterin. Ihre Fernsehinterviews hat sie mit herbem Charme hinter sich gebracht. Köster erlebte sie „unverbraucht, ungekünstelt und nicht affektiert“.
In der Vergangenheit hat sie freilich allzuoft Spitzen gegen die Kolleginnen Niemann-Stirnemann oder Anni Friesinger hinausposaunt, was in der Deutschen Eisschnellauf-Gemeinschaft (DESG) mißfiel und den Verdacht nährte, die Pechstein sei eine mißgünstige und schnippische Dame. Dazu reagiert sie unbeholfen, wenn sie kritische Fragen treffen, diskutiert und zetert, statt Gerüchte gelassen zu entkräften. „Irgendwo nicht schön“ findet sie es zum Beispiel, daß sie immer wieder zur vermeintlichen Zwietracht zwischen ihr und der Inzellerin Friesinger aussagen müsse, nachdem sie festgestellt hat: „Ich verstehe mich mit Anni ganz normal.“
Und zum angeblich schwelenden Ost-West-Konflikt in der DESG prustet sie zornig: „Von meiner Seite aus gibt es den nicht; diese Unterstellung ist eine Schweinerei!“ In einem Zitat, das die Deutsche Presse- Agentur in Umlauf brachte, klang das anders, aber dagegen ist sie längst vor Gericht gezogen: Das Zitat sei erfunden.
Das alles paßt nicht zu modernen Sporthelden. Boris Becker hat glorreich gewonnen und traurig verloren, seiner Persönlichkeit ein Profil gegeben und es zur Kultfigur gebracht. Ebenso wie Franziska van Almsick oder Steffi Graf, deren beider tränenreiche Traumkarriere die ganze Nation rührten.
In deren Liga wird Claudia Pechstein nie aufsteigen. Wohl auch, weil sie bisher eigentlich immer nur erfolgreich war, weil sie bei so viel Konstanz kaum denkwürdige Geschichten hervorbrachte. Von ihrem 5.000- Meter-Sieg in Nagano, mit Weltrekord errungen, berichtet sie, „Wahnsinn“ sei der gewesen und „irgendwo der Hammer“. Viel mehr hat sie nicht zu erzählen. „Ich bin Eisschnelläuferin“, sagt Pechstein. Nur das. Für einen Winter Ruhm und Anerkennung reicht das. Für mehr nicht. Thomas Hahn
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