■ Polen: Ob Premier Oleksy zurücktritt, ist nicht mehr wichtig: So oder so – beschädigt sind alle
Was Mitte Dezember als Spionage-Affäre um Premierminister Oleksy begann, hat sich zu einem politischen Skandal entwickelt, der über Polen hinaus seine Kreise zieht. Und tagtäglich kommen neue ausgeklügelte Theorien und Schuldszenarien auf den Tisch. Vorläufig letzter Akt in diesem schlechten Spektakel: Der Vorwurf, Walesa – nach seiner Wahlniederlage eifrig bemüht, dem politischen Gegner eins auszuwischen – habe den polnischen Geheimdienst für seine Zwecke instrumentalisiert und damit die Methoden der einstigen kommunistischen Machthaber kopiert.
Angesichts dieses unentwirrbaren Knäuels von persönlichen Verstrickungen, Schuldzuweisungen, halbseidenen Informationen und Verschwörungstheorien wird die Frage eines möglichen Rücktritts von Regierungschef Oleksy immer unwichtiger. Auch die parlamentarische Kommission, die mit der Untersuchung der Vorgänge befaßt ist, und das Oberste Militärgericht, dessen Entscheidung über ein Ermittlungsverfahren erst in dieser Woche erwartet wird, sind längst zu Nebenschauplätzen geworden.
Vielmehr geht es grundsätzlich um die Art politischer Auseinandersetzungen in Polen. Und die betrifft Politiker aller Parteien. Bereits das Vorgehen Walesas, nur wenige Tage vor seinem Ausscheiden aus dem Präsidentenamt und ohne eine gesicherte Beweisgrundlage die „Bombe Oleksy“ hochgehen zu lassen, deutete auf ein abgekartetes Spiel hin. Nicht weniger fragwürdig war auch die Reaktion Oleksys auf die Vorwürfe: Er weigerte sich strikt, sein Amt ruhen zu lassen, und tat mit einer durchsichtigen Personalpolitik zu seinen Gunsten alles andere, als den Verdacht gegen ihn zu entkräften. Und die Opposition beschäftigte sich lieber ausführlich mit neuen Koalitionsszenarien und Postenschacher, anstatt mit Nachdruck auf einer Klärung der Vorwürfe zu bestehen.
Unabhängig davon, ob jemals Licht in die Affäre gebracht wird und ob der angeschlagene Oleksy im Amt bleibt oder das Handtuch wirft: Beschädigt werden aus diesem Spionagefall alle Beteiligten hervorgehen. Doch nicht nur sie: Auch die Entwicklung Polens hin zu einem demokratischen Rechtsstaat hat einen empfindlichen Rückschlag erlitten. Barbara Oertel
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