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■ GastkommentarSo nicht, Herr Krüger!

Das Vorhaben von Jugendsenator Thomas Krüger (SPD), einen zentralen Landesträger zur Durchführung für die „Hilfen zur Erziehung“ einzurichten, gibt Anlaß zu großer Besorgnis. Seit drei Jahren weigert Krüger sich, insbesondere in den Ostberliner Bezirken für einen bedarfsgerechten Ausbau ambulanter Hilfen und Alternativen zur teuren Heimunterbringung zu sorgen. Im Westen hat er die alte Struktur, daß Heimunterbringung immer noch die absolute Priorität ist, gegenüber der notwendigen Förderung von Familienpflegestellen unangetastet gelassen. Der eklatante Mangel ist bekannt: Im Westen gibt es 350 Plätze in Jugendwohngemeinschaften, im Osten nur ganze 70, obwohl hier Anträge von 27 Trägern vorliegen, 300 neue WG-Plätze bereitzustellen. Mit seiner Untätigkeit hat Krüger demonstriert, daß er nicht gewillt ist, seine Politik an den Bedürfnissen der Bevölkerung zu orientieren.

Im Bereich der ambulanten Hilfen – zum Bespiel psychologische Therapien, sozialpädagogische Familienhilfe, soziale Gruppenarbeit und sozialpädagogische Einzelbetreuung – ist die Lage noch katastrophaler. Es fehlen seit drei Jahren Ausführungsvorschriften, Finanzierungsgrundlagen und Rahmenvereinbarungen mit freien Trägern, die den Jugendämtern der Bezirke die Türe einrennen, aber nicht tätig werden können, da sie nicht zu finanzieren sind.

Das Land Berlin hat im vergangenen Jahr 600 Millionen Mark für die gesamte Jugendhilfe ausgeben. 83 Prozent für die Heimerziehung, 9 Prozent für die Familienpflege, 5 Prozent für die ambulanten Hilfen (von diesen 58 Millionen Mark sind in den Osten nur 15 Prozent geflossen) und 2,3 Prozent für die Jugendwohngemeinschaften freier Träger. Die Antwort auf diese Misere darf nicht ein zentraler Landesträger sein. Vielmehr müssen dezentrale, bürgernahe, kiezorientierte Strukturen und Konzepte in den Bezirken entwickelt werden. Jeder Fachfrau ist klar, daß die Entscheidung über eine Heimunterbringung im Bezirk fällt. Wer keine Alternative zur Heimunterbringung finanzieren kann, wird die Kinder weiterhin in den Heimen unterbringen. Gewalt, sexueller Mißbrauch, Vernachlässigung, kaputte Beziehungen der Eltern, Alkohol, Drogen und Arbeitslosigkeit – die sozialen Probleme dieser Gesellschaft werden immer wieder dazu führen, daß Kinder aus den Familien herausgenommen werden müssen. Benötigt werden Alternativen zum Heim, die die Eltern entlasten und die Kinder schützen. Diese Alternativen müssen vor Ort in den Bezirken aufgebaut werden, weil sie in Beziehung zueinander treten und miteinander kommunizieren müssen. Dazu ist ein Landesträger unfähig.

Die Planung des Senats für einen zentralen Landesträger ist Ausdruck eines konservativen Jugendhilfekonzeptes, das Bezirkskompetenzen übergeht und wichtige politische Zielsetzungen der Verwaltungsreform aushebeln will. Es wird einen breiter werdenden Protest dagegen geben und die Bezirksstadträte sind aufgerufen, den Jugendsenator zur Rechenschaft zu ziehen für Planungen hinter verschlossenen Türen und am Parlament vorbei. Manfred Rabatsch

Der Autor ist leitender Sozialarbeiter in Prenzlauer Berg.

Siehe auch den Bericht auf Seite 19

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