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So ein Käse!

Nicht nur die Rotbauchunke ist bedroht. Auch der Granone aus Lodi und der Pecorino di Zaccuni stehen auf der roten Liste. Rohmilchkäse, die schon Michelangelo gegessen hat, sterben aus. Ursache: Der Niedergang der Kühe und die Behäbigkeit des Verbrauchers

von KLAUS HELMRICH

Die Genießer von Slow Food haben eine neue Kampagne für Rohmilchkäse gestartet. Eine Initiative, die kein Walschlachten und keine Dünnsäureverklappung per Unterschriftenliste bekämpft, sondern den leisen Kampf einer traditionellen Produktionstechnik, die erdrückt zu werden droht, positiv begleitet. Erdrückt von der gigantischen Käseindustrie mit vielstelligen Werbeetats, von EU-Amtsschimmelgestüten, aber auch von orientierungslosen Konsumenten. Deren Ignoranz und Trägheit ist womöglich schlimmer als jeder EU-Hygienewahn.

Was macht den Reiz des Rohmilchkäses aus? Er wird direkt aus frisch gemolkener Milch hergestellt. Nicht aus gelagerter und damit verkeimter Milch. Man kann so auf Erhitzen, beziehungsweise Pasteurisieren verzichten. Das Erhitzen tötet wertvolle Geschmacks- und Nährstoffe und hemmt die Reifung.

Im 19. Jahrhundert wurde aufgrund ungenügender Hygiene das Pasteurisieren in der Käseherstellung eingeführt. Heute dient es vor allem der Vereinfachung industrieller Abläufe und der Lagerhaltung. Auch sieht die Rohmilchkäserei heute anders aus als vor hundert Jahren. Rundum geflieste Wände, Edelstahlbottiche, Insektenschleusen und vom Rechner dokumentierte Kühlkurven sind Grundbedingungen. Dazu kommen häufige Veterinärbesuche und strenge Vorschriften.

Eine Fünftagewoche ist für den Produzenten ein Traum. Zweimal täglich muss er die frisch gemolkene Milch verarbeiten, auch am Wochenende und zu Ostern. Wer hat noch Lust, sich das anzutun? Wo es doch französischen Ziegenkäse gibt, dessen Milch erst nach zwei Wochen Lagerung verarbeitet wird. Die Bakterien in der Milch werden abgetötet, und manche Verbraucher schätzen die Strenge überalterter Milch als typischen Chèvre-Goût: Stellen Sie sich vor, Sie beißen in ein Ziegenfell. Genau aus diesen Gründen, der Qualität wegen, bleibt der Rohmilchkäseproduzent aber bei seiner traditionell knackfrischen Herstellung. Dankt es ihm der Verbraucher?

Nur eine kleine Genießerschar kauft gezielt Rohmilchkäse. Die anderen kennen ihn vor allem aus den Schlagzeilen. Zuletzt schrieb das Magzin Focus über dieses angeblich gefährliche Milchprodukt und verwies auf eine schwäbische Molkerei, die achtzig Tonnen Käse habe vernichten müssen. Was das Magazin nicht wusste: Es handelte sich um pasteurisierte Ware, die listerienverseucht war. Allein die Mengenangabe hätte stutzig machen können. Nachlässige Recherche schadet dem Produkt also genauso wie der träge Verbraucher.

Selbst in Frankreich – Gott schütze Frankreich, denn hier gilt „au lait cru“ noch als nationales Kulturgut – ist der Anteil des Rohmilchkäses auf unter fünf Prozent gesunken. Dies, obwohl hier eine echte Käsekultur existiert. Von Generation zu Generation wird das Wissen um Herstellung und Genuss weitergegeben. In Deutschland müssen sich junge Produzenten ihre Erfahrungen mühsam erarbeiten. Außer in Bayern gibt es fast keine traditionellen, sondern immer nur übernommene oder neu entwickelte Verfahren zur Käseherstellung. Entsprechend klein ist die Zahl guter Rohmilchkäse. Einfache Schnittkäse dominieren.

Europaweit wird der Markt von einheitlichen Erzeugnissen erobert, die Händler und Verbraucher wochenlang lagern können. Stets schmeckt der Käse gleich (langweilig), und es bedarf schon böswilliger Nachlässigkeit, will man diese Plastikware verderben. Der Kunde erlebt keine Überraschungen negativer oder positiver Art. Die Erzeugnisse stammen zwar fast immer von der dünnen Milch der Turbokühe, die bis zu zehntausend Liter im Jahr geben. Aber man hat ja die Aromahelferchen.

Diese Produkte mit ihrem wiedererkennbaren Label, dem mild-gleichförmigen Geschmack und der extremen Lagerfähigkeit haben mit Hilfe einer romantisierenden Vierfarbwerbung den Unkundigen überzeugt. Schaut man in den mediterranen Ländern in die Supermarkttheken, wird es auch dort immer schwieriger, regionale Käse auszumachen. Die unvermeidlichen Leerdamer, Bonbel oder Gouda im Plastikkondom machen sich breit.

Und doch gibt es jenseits der Massenprodukte eine Phalanx von Qualitätsverfechtern, die darauf schwören, dass ihr Käse nur gelingt, wenn er von der (teuren) Milch des regionalen Rindes stammt, das vielleicht nur 3.500 Liter gibt. Nicht nur die Rasse der Kühe, auch ihre Haltung ist wichtig: Käse von Freilandkühen hat mehr Linolsäure und ein höheres Antioxidationsvermögen. Toperzeuger halten die Kühe auf der Weide, sie scheuen keinen Sonntag, und sie lassen dem Käse sein Leben.

Sie erschaffen ein Produkt, das sich auch nach der Fertigstellung ständig entwickelt, reifer und reifer wird, falsche Temperaturen nicht verträgt, natürlichen Schimmel bildet und heute anders schmeckt als morgen. Ein Produkt, das es möglicherweise einige Monate gar nicht gibt, weil die Schafe oder Ziegen im Winter keine Milch geben. Ein Produkt, das bei falscher Lagerung verdirbt. Das aber bei richtiger Behandlung eine unvergleichlich köstliche Delikatesse sein kann – Stolz seines Herstellers und Genuss seines Entdeckers. Und das aufgrund des höheren Aufwands auch seinen Preis kostet.

Weshalb dieses Nischenprodukt und seine Hersteller mit ihren traditionellen Handwerkskünsten und ihrem schonenden Umgang mit der Natur noch immer den Attacken der Lebensmittelaufsicht und der Medien ausgesetzt sind, weiß der liebe Herrgott. Jüngstes Beispiel: die Maul- und Klauenseuche. Natürlich ist es der Rohmilchkäse, der jetzt verstärkt kontrolliert werden soll. Als könnten MKS-Viren zwischen Käse und Käse unterscheiden. So ein Käse! Bei allen Vorzügen – eines hat der Rohmilchkäse nicht: eine Lobby. Darum hat Slow Food seine Kampagne gestartet. Infos: Fon (02 51) 79 33 68 oder www.slowfood.de.

KLAUS HELMRICH, 46, ist Käseimporteur und Delikatessenhändler in Münster

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