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Skepsis gegenüber Amnestie-Angebot

Manche der kurdischen Flüchtlinge kehren in ihre früheren Wohnorte zurück/ Sicher fühlt sich niemand/ „Lieber zu Hause sterben, als wie ein Hund im Lager zu leben“/ Forderung nach Autonomie  ■ Aus Sulaymaniya Khalil Abied

Das Amnestie-Angebot der irakischen Regierung an die kurdischen Flüchtlinge wird selbst unter denjenigen, die jetzt tatsächlich zurückkehren, mit einer gewissen Skepsis aufgenommen. Eine Fahrt in die kurdische Stadt Sulaymaniya, die das Bagdader Informationsministerium für Journalisten organisiert hatte, führt durch leere Dörfer, nur in einige wenige sind ein paar Familien zurückgekehrt. Nach Sulaymaniya selbst soll nach Abgaben von Einwohnern rund die Hälfte der Flüchtlinge zurückgekehrt sein.

„Wir sind geflohen, weil wir Angst hatten“, erklärt ein Kurde, der vor einigen Tagen in seine Heimatstadt Sulaymaniya zurückkehrte. „Die Rebellen sagten uns, daß die irakische Armee in Kirkuk Massaker begangen habe, daß die Soldaten die Ohren und Nasen der Männer abgeschnitten und ihnen die Augen ausgerissen habe. Wir hatten auch Angst vor chemischen Waffen, wir haben Familien, die wir retten wollten“, erzählt er weiter. „Dann hörten wir im Radio von der Amnestie, da sind wir umgekehrt.“

Die Regierung hatte vor zwei Wochen eine generelle Amnestie für alle Kurden verkündet, die sich keiner „kriminellen Handlungen“ schuldig gemacht haben. Für die Kurden, die sich noch im Lande aufhielten, gab es eine Frist von einer Woche, für diejenigen jenseits der Grenze vierzehn Tage. Am 11. April wurde die Amnestie um eine Woche verlängert.

„Bitte sagen Sie der Regierung, daß die Amnestie unbefristet sein muß“, sagen mir viele Kurden. Sie wissen, daß ich aus Bagdad komme, der Stadt der Macht und der Entscheidungen. „Viele Leute wollen zurück, aber sie haben Angst vor der Armee und mißtrauen der Regierung“, erzählen die Zurückgekehrten. Sie hätten selbst Abgesandte in die Berge geschickt, um die Flüchtlinge zur Rückkehr zu bewegen. Aber es sei schwer, sie zu überzeugen. Man brauche mehr Zeit, als es die Fristen der Regierung zuließen. Eine Kurdin, die zurückgekehrt ist, sagt: „Ich konnte die Situation als Flüchtling nicht ertragen. Lieber sterbe ich in meinem Haus, als wie ein Hund im Lager zu leben.“

Auf die Frage, ob er sich sicher fühlt, entgegnet ein junger Mann: „Noch nicht. Die Soldaten behandeln uns bis jetzt gut. Aber wer garantiert, daß sie uns später nicht bestrafen?“ Er fühle sich erst dann sicher, wenn sich die Regierung und die Politik geändert hätten. Viele kurdische Gesprächspartner stimmen darin überein, daß es ihnen besser geht als den Kurden in den anderen Ländern. Im Irak können sie ihre Sprache sprechen, es gibt kurdische Bücher und kurdische Zeitungen, sie haben, anders als in Syrien, irakische Pässe. Dennoch: „Wir wollen größere Freiheiten, wir wollen nicht, daß sich das Baath-Regime in unsere Angelegenheiten einmischt, wir fordern volle Autonomie“, erklärt ein Gesprächspartner.

Wie Einwohner Sulaymaniyas berichten, wurden im Zuge der Kämpfe die Hauptquartiere des Geheimdienstes, der Armee, der Baath-Partei und der Volksarmee von den Rebellen angegriffen. Um die Zentrale des Geheimdienstes habe es dreitägige Gefechte gegeben. Als das Gebäude schließlich erobert worden sei, hätten die Rebellen alle Geheimdienstler hingerichtet. Gezeigt wird uns auch ein Massengrab mit zum Teil verstümmelten Leichen. Dort habe man Mitte letzter Woche fast zweihundert zum Teil verstümmelte Tote gefunden. Wie uns gesagt wird, sind sie Parteimitglieder, Soldaten und Geheimdienstleute gewesen.

London (afp) — Nach offiziellen irakischen Angaben sind seit Samstag vergangener Woche 106.396 Kurden in ihre Heimat im Nordirak zurückgekehrt, berichtete Radio Bagdad am Donnerstag unter Berufung auf den Informationsminister Hammadi. Die Regierung hat vorgestern zum zweiten Mal eine Verlängerung der Amnestiefrist für kurdische Aufständische beschlossen.

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