: Skandierte Texte
■ Kai Klausner las in Rock-Kneipe
In der Rock-Kneipe Casper's Ballroom in St. Pauli hatte sich Kai Klausner am Sonntag abend unter einer Schummerlichtfunzel ein Podest aus Bierkästen aufgebaut. Der schreibende Kollege Victor Giovanett reichte zur Vervollständigung der Atmosphäre Dunlop-Riegel und Wunderkerzen ans Publikum.
Seine Lesung leitete Klausner mit einem dicken Trennungsstrich ein: „Ihr könnt mir nichts mehr erzählen“, skandierte der junge Mann immer wieder aus dem ersten Text heraus. Ein Ausbruch gegenüber allen von der Kneipenbekanntschaft bis zum Kommilitonen. Gemeint war eine tragende Komponente in der Lebensführung Klausners: Die Verschiebung der Affekte.
Klausner ist als Protagonist unterwegs. Mit der Ich-Form unter dem Arm fühlt er sich leer, wo andere wütend werden und reagiert aggressiv, wo andere ihrem guten Willen zu sehr vertrauen. Über vermeintliche Kleinigkeiten, wie die Einsicht, daß die Langeweile allmählich Freund Hein dessen Aufgaben abnimmt, kommt er zum Selbsthass. Kleinigkeiten sind: Der Nachmittag und die funktionellen, elenden Methoden ihn hinter sich zu bringen. Die ganze Zeit, die man sprichwörtlich vertreibt wie die Zeugen Jehovas von der Wohnungstür.
Klausners vorläufiges, sinngemäßes Fazit: Es gibt keine Kleinigkeiten mehr. Beim Anblick „der Regentropfen auf der Fensterscheibe“ rast er noch nicht. Die harte Arbeit, die vom Leben für den Kopf eingefädelten Aggregatzustände auszuhalten, hat sich nämlich noch einmal in eine Pointe aufgelöst. Klausner ist alles zuzutrauen.
Er ist derjenige, der Sex Pistols-Sätze umschreiben könnte. „I use the enemy“ könnte bei ihm in ein forderndes „I use me“ münden. Klausners Würde bestand auch aus der in der Luft liegenden Möglichkeit überzuschnappen. Am Ende war die Stimmung bei einigen unsicher und aufgekratzt wie bei einem Konzert von John Cale: Say, fear's a man's best friend.
Kristof Schreuf
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen