Filmstadt als Parodie der Stadt: Jaques Tatis „Playtime“ läuft in restaurierter Fassung in der Architektur-Reihe „Cinepolis“ : Situationen des Nichtfunktionierens
Der dritte „Monsieur Hulot“ beginnt mit einer sehr langen Einstellung von einer weitläufigen Halle in einem Terminal in Paris Orly. Vorn eine Sitzecke, eine Dame redet auf einen Herrn ein. Weit hinten starren Stewardessen durch die Glasfassade aufs Rollfeld. Dazwischen schreiten, stöckeln, tapsen verschiedene Figuren durchs Bild: ein Offizier, eine Krankenschwester, ein dicker Fluggast. Eine Choreographie sozialer Äußerlichkeit im öffentlichen Raum, maniriert, langsam und köstlich. Die Kamera folgt nun einer Gruppe amerikanischer Touristinnen. Sie werden in ein anonymes Viertel chauffiert, in dem sich der Rest des Films abspielen wird: ein grau-in-graues Alphaville, dessen durchdesignte Hochhausriegel noch futuristischer wirken als Orly. Aber wo ist Monsieur Hulot?
Nirgends und überall ist er in Playtime (1967). Tati hält uns lange mit merkwürdigen Doppelgängern zum Narren. Endlich steigt dann doch noch das Original aus einem Bus. Endlich Slapstick – der sprichwörtliche Regenschirm verhakt sich in dem eines anderen Fahrgasts. Slapstick ist eine Technik, die das Funktionieren der Welt lustvoll in Situationen ihres Nichtfunktionierens zeigt. Playtime geht weiter und unterwandert durch freches Spiel mit der Zuschauererwartung die Funktion der Komikerfigur selbst.
Hulot will eigentlich nur in einem hypermodernen Bürogebäude einem immer beschäftigten, immer flüchtigen Manager ein Schriftstück übergeben. Was genau, bleibt unklar. Einen Empfehlungssbrief? Damit der ewig Beruflose nach der geplatzten Anstellung bei seinem Schwager in Mon Oncle (1958) endlich einen Platz findet in der bürgerlichen Gesellschaft und ihren modernen Zeiten, was ja der kleinste gemeinsame Nenner der großen Komiker ist? Bald vergisst Hulot den Plan und stolpert ziellos durch das Viertel. Playtime verweigert Plot und Motive.
Die Verweigerung setzt sich auch stilistisch fort. Ein Film ohne Close-ups, dem Komposition wichtiger ist als Psyche, dessen reichhaltige Tableaus diesseits einer subjektiven Perspektive entziffert sein wollen. Sprache wird dabei folgerichtig zum sozialen Geräusch. Überhaupt ist Hulots Welt eine Geräuschwelt. Noch vor ihrer Tücke macht sich der Klang der Objekte bemerkbar. Was in Les vacances de Monsieur Hulot (1953) das Klong einer Schwingtür war, ist in den ersten zwei Dritteln von Playtime das furzende Geräusch eines omnipräsenten neuartigen Plastiksesseltyps: Leitmotiv der Tyrannei dinglicher Routine, hier: der zeitgenössischen urbanen Architektur eines Hochhausviertels. Sie zwingt die Menschen als reine Vektoren durch Flure und Straßen. Die Glasflächen spiegeln zwar Durchlässigkeit nach innen vor. Doch die Passanten rennen sich daran regelmäßig die Nase ein. Auch Hulot strauchelt an solchen Grenzen. Er wird von Aufzugstüren gefangen, von schallschluckenden Türen verwirrt oder kann den elektrischen Öffner nicht finden.
Aber dann drehen sich die Machtverhältnisse von Mensch und Architektur. Der langsam aufgebaute anarchische Höhepunkt ereignet sich in einem frisch eröffneten Nobelrestaurant, wo sich die Figuren von Playtime zufällig treffen. Hulot ist dabei Katalysator, nicht Partyschreck. Erst zerstört er die hiesige Glastür, dann bringt er die Deckenverkleidung zum Einsturz. Aus einer affigen Soiree mit Tanz wird kreatives Chaos.
Die Befreiung kommt aus der Phantasie der Beteiligten – und der Betrachter. Diese Botschaft macht der märchenhafte Ausklang von Playtime klar, der sich organisch in die Rhythmik des Films fügt. Nach Tagesanbruch begeben sich alle auf den Heimweg, und ein Kreisverkehr verwandelt sich in ein Jahrmarktskarussell. Die Straße wird zum Festplatz, wenn wir ihn nur sehen wollen. Das ist wenig umstürzlerisch, vielleicht infantil, jedenfalls romantisierend. Aber es ist zutiefst menschenfreundlich. Jakob Hesler
Do, 21.15 Uhr (Einführung: Olaf Bartels), Mo, 20.15 Uhr + Di, 17 Uhr, Metropolis