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Sind alle Ehefrauen Prostituierte?

■ betr.: „Allgemeine Abschreckung – Vergewaltigung in der Ehe“ von Sybille Tönnies, taz vom 10. 10. 95

Der Artikel kann wirklich nur als Bravourstück bezeichnet werden! Ihre psychologischen und juristischen Kenntnisse in Sachen sexualisierter Gewalt sind so profund, daß wir SozialwissenschaftlerInnen nach selbiger Lektüre augenblicklich und sofort sämtliches theoretisches und praktisches Wissen um die Problematik ad acta legen werden.

Versprochen!

Denn: endlich wissen wir, daß Vergewaltigung ein Sexualdelikt innerhalb eines „sado-masochistischen Beziehungsgefüges“ ist – und daß die Vergewaltigung gar ihr „Nest“ in einer „pathologischen Abhängigkeit“ hat.

Akute und Langzeitfolgen von ehelicher Vergewaltigung (alte Version: einer – in der Regel – fortgesetzten sexuellen Folter, neu: einem fortgesetzten Sadomaso- Akt!) sind samt der massiven Traumatisierungen, der Suizidgefährdung, der Verletzungen im Genital-, Nieren- und Beckenbereich und der restlichen psychosomatischen Folgeerscheinungen schlicht eine Erfindung unserer sozial verdrehten Gehirne!

Ganz zu schweigen von der von den Opfern „nicht beauftragten Lobby, der Frauenbewegung“, weil die nämlich mit dem „physischen Vorgang“ männlicher Penetration (nach Tönnies eine „Grundtendenz der männlichen Potenz“ – schön wär's ja...) beziehungsweise einer Form des „Imperialismus“, ja! einer „politischen Fremdüberlagerung“ (in welcher Stellung bitte?) augenscheinlich nicht zurechtkommen, weshalb sie sich davon befreien wollen (oder sollen?).

Wunderschön sind auch die Ausführungen zu der „gewohnten Verzahnung“ der Frauen „mit der männlichen Penetration“, aus der sie sich befreien können, auch wenn dies ein „epochaler und entsprechend schwerer Schritt“ ist; denn wenn sie sich nicht mehr anpassen wollen, dann verlieren sie auch ihre soziale Sicherheit (sind alle Ehefrauen Prostituierte?).

Aber! Tönnies kommt mit der Botschaft für die Frauen: Sie sind nicht allein, wenn sie sich demnächst „auch ohne prinzipielle Penetrationsbereitschaft“ ist-gleich „autonom“(!!!) gebärden... sie bleiben innerhalb der „Normalkultur“. Hach! So tröstlich.

Und schließlich: „Verheiratet oder nicht – wir lassen uns nicht durchdringen! Es ist gut, wenn das gesagt wird.“ Tut das wirklich gut? Und wenn ja: wem?

Wie ich mich im Grunde schäme! Als überzeugte Feministin sowieso. Aber! Wie bringe ich jetzt meinem Sexualpartner bei, daß er sich (im „Konvex-Konkaven“; womöglich auch umgekehrt!?) als „politische Fremdüberlagerung“ begreift? (Einen Deubel werd' ich tun!!)

Und vor allem: Wie bringe ich meinen Klientinnen bei, daß die an ihnen begangene massive Gewalt nichts weiter als eine Sadomaso- Geschichte ist, aus der sie sich locker befreien könnten, wenn sie denn nur wollte...? Monika Gerstendörfer,

Dipl.-Psych., Metzingen

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