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Signal der Basis für Arbeitskämpfe

Signal der Basis für Arbeitskämpfe

Ob man es wahrhaben will oder nicht: die „Comitati di base“ werden sich in den nächsten Monaten vervielfachen. Die Streiks der Basiskomitees im Schulsektor, im Transportwesen und im öffentlichen Dienst sind erst der Anfang: Die COBAS werden, möglicherweise unter anderem Namen, zum dauerhaften Element der italienischen Arbeiterbewegung. Experten haben schon vor Jahren darauf hingewiesen, daß sich eine solche Entwicklung abspielen könnte - Gründe dafür sind die Transformation der Wirtschafts- und Produktionsstrukturen, der Abbau der ehemals zentralen Rolle der Fabrik und die Ausdehnung des Dienstleistungsbereichs. Speziell das enorme Anwachsen des „tertiären“ Sektors schafft notwendigerweise eine verschärfte, zunehmend radikalisierte Auseinandersetzung in diesem Bereich selbst. Die Entstehung der COBAS ist ein Signal für Art und Umfang künftiger Arbeits- und Sozialkämpfe.

Zum rapiden Anstieg der Aktionen von Basiskomitees tragen im wesentlichen drei Faktoren bei: - Die spezifische Form einer neuen „Politik der Konfrontation“, wie das der Soziologe Aris Accornero nennt: sobald es um den öffentlichen Sektor - Hauptaktionsfeld der COBAS - geht, „ist der Staat in eine Doppelrolle gezwängt: als Vertragspartner, aber gleichzeitig auch als Vermittler“, so daß sich die Arbeitskämpfe zwangsweise auch „auf den Versuch direkter Beeinflussung des Staates ausdehnen“, mithin politisieren: - die zentrale, oft entscheidende Rolle, die der öffentliche Dienst innerhalb des nationalen Produktionssystems spielt. Schon wenige streikende Angestellte können ganze Sektoren lahmlegen; - die unbeschränkte Ausdehnbarkeit der Streik-Wirkungen: neben dem Arbeitgeber beziehen Aktionen des öffentlichen Dienstes und verwandter Bereiche (etwa des Transportwesens) auch die Vertragspartner des Staates - Benutzer öffentlicher Einrichtungen zum Beispiel - mit ein.

Die Konsequenzen des Streiks trägt natürlich zum großen Teil der Bürger, eben in seiner Eigenschaft als Vertragspartner der „Zielinstitution“ des Streiks. Der Ausstand wendet sich somit in viel unmittelbarerer Weise als die „klassische“ Arbeitsniederlegung ans Volk selbst: vom „unschuldigen“ und daher meist auch unbeteiligten Zuschauer wandelt sich der Zeitgenosse zur „Geisel“ des Arbeitskampfes. Darin liegt denn auch die beispiellose Bedeutung, die die Aktionen der COBAS annehmen und die mittlerweile gar „sozialen Alarm“ ausgelöst haben: „Mehr als je zuvor“, kommentiert Accornero, „besteht nun die Wahrscheinlichkeit, daß einem durch Streiks direktes oder indirektes Ungemach ins Haus steht.“

Doch genau das, was die Stärke der Basis-Leute im tertiären Sektor ausmacht - die Fähigkeit, schnell und flexibel Druck nicht nur auf den (anonymen) Arbeitgeber Staat oder Großbetrieb, sondern auch auf den Bürger und wiederum über diesen auf den Arbeitgeber auszuüben - genau diese Stärke erweist sich auch als kontraproduktiv. Denn jeder soziale Kampf ist für den Sieg auf Solidarität angewiesen. Solange es bei Drohungen mit Streiks bleibt, ist zwar der soziale Konsens überwiegend vorhanden; doch wenn es tatsächlich zur Aktion geht, bekommen die Nichtbeteiligten die Konsequenzen

-anders als beim Generalstreik der Großgewerkschaften, an dem man sich selbst beteiligen kann - sofort zu spüren: der Streik verwandelt sich absichtlich in „Opfer“, in Instrumente, mit denen man Druck auf die Verhandlungen ausübt. Mit weitreichenden Konsequenzen: so werden durch viele COBAS-Aktionen gerade die sozial Schwachen geschädigt (Randgruppen, die ihre Unterstützung nicht erhalten, bürokratisch unkundige Bürger, Arbeiter und Kleinhändler, die wegen ausfallender Züge nicht zur Arbeit fahren können etc.) und statt Solidarität entwickelt sich so eher Ärger. Gleichzeitig arten manche der COBAS-Aktionen in regelrechte Streikmarathons aus - da streiken die Lokführer, anschließend die Schaffner, da die Fluglotsen, dann die Piloten: der Normalbürger weiß längst nicht mehr, worum es der einzelnen Gruppe genau geht, er sieht nur, daß die Züge stillstehen und die Flüge gestrichen sind.

Für die Zukunft der COBAS wird sicher entscheidend sein, ob sie ihre Ziele auf Dauer nicht nur als sektorale, sondern allgemeingesellschaftliche Interessen vermitteln können. Luigi Manconi

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