: Signal ausgeblieben
■ Abgesang auf das Ausländerwahlrecht
KOMMENTAR
Angenommen, der geistige Fortschritt ist nur eine Frage der Zeit: Dann werden in zwanzig Jahren - vielleicht auch später - die Nachkommen der Berliner Sozialdemokraten den Kopf schütteln über den unsäglichen Eiertanz, den ihre Vorfahren anno 1989/1990 zum kommunalen Wahlrecht für ImmigrantInnen aufgeführt haben. Den ImmigrantInnen im Westteil der Stadt nützt das gar nichts. Sie bleiben Bürger zweiter Klasse. Niemand hat je behauptet, die Einführung des Wahlrechts für ImmigrantInnen zu den Bezirksverordnetenversammlungen würde Rassismus und Diskriminierung ein Ende setzen. Die, denen dieses Recht immer noch verweigert wird, glauben das am wenigsten. Aber es wäre ein bescheidenes Signal gewesen. Politiker zeigen mehr Respekt gegenüber Bevölkerungsgruppen, die zum Stimmzettel greifen können - auch wenn es auf Bezirksebene nur um die Errichtung von Verkehrsampeln oder die Erhöhung der Schwimmbadpreise geht.
Ein paar ältere Herren, Richter von Beruf und mehrheitlich deutschtümelnd, werden im Winter voraussichtlich das kommunale Wahlrecht für Immigranten für verfassungswidrig erklären, weil zum Wahlvolk eben nur gehören könne, wer deutsch sei. Das paßt zum politischen Trend. Für die fast vier Millionen ImmigrantInnen ist das schlimm genug. Für die über 250.000 Berliner mit türkischen, polnischen oder iranischen Pässen wiegt die Einsicht noch schwerer, daß es die SPD mit der Einführung des kommunalen Immigrantenwahlrechts nie ernst gemeint hat. Statt dessen hat sie die Entscheidung mangels Rückgrat an die Richter in Karlsruhe delegiert, und seitdem wurde es zur Manövriermasse im Streit mit dem Koalitionspartner AL verstümmelt. Die wiederum ließ sich hinhalten und über den Tisch ziehen. Interessen von ImmigrantInnen wurden einmal mehr zur Manövriermasse für ausschließlich deutsche Parteipolitik. Für die ImmigrantInnen bleibt nach dieser Verarschung nur, für ein neues Ziel zu kämpfen. Das heißt möglicherweise „doppelte Staatsbürgerschaft“. Denn wer Deutscher ist, auch wenn er sich nicht so fühlt, darf wählen. Und wer wählen darf, kann Denkzettel verpassen - vorausgesetzt, er hat auch in zwanzig Jahren noch ein gutes Gedächtnis.
Andrea Böhm
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