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Sieg nach Punkten für Dionysos

■ Die Ausstellung „Neue Figuration“ in Frankfurt zeigt gegenständliche Malerei seit 1960

Elke Schmitter

Das Leben ist hart, sagen viele Bilder; wir haben nicht viel Zeit, sagen grobe, schnelle Pinselstriche; nur in vorübergehender Erstarrung, merkt das Auge, ist auch Ruhe möglich. Nach Epochen inhaltlicher Minimierung, nach dem wiederholten Todesgeläut für die Tafelmalerei, nach Jahrzehnten der puristischen Conceptart, nach dem Rückzug ins Geheimnisvolle „ohne Titel“, nach intellektuell gesättigtem, vollständigem Verzicht auf weltliche Verwicklungen: Was für ein Geschrei! Welche Lautstärke der Farben, welches Getümmel der Figuren, was für ein Wüten in Symbolen!

Die wieder am Gegenständlichen orientierte „neue“ deutsche Kunst, die ihren Anfang in den späten 50er Jahren nahm und heute zumeist mit den „Neuen Wilden“ identifiziert wird, hat von Beginn an heftige Reaktionen ausgelöst. Ablehnende Stimmen warfen dem expressiven, figurativen Stil inhaltliche Beliebigkeit vor, sinnloses Zitieren bedeutungsschwangerer Symbole, allzu sicheren Geschäftssinn und die skrupellose Wiederholung von gegenständlich orientierten Epochen der Vorkriegsmoderne, mit der man sich dreist daran macht, die bourgeoise Kunst zum eigenen Vorteil neu zu beleben. Positive, oft jubelnde Kommentare hingegen behaupten das Gegenteil: Die radikale, international durchgesetzte Avantgarde von einst wisse sich gegen den Aufbruch der narrativen Malerei eben nicht anders zur Wehr zu setzen, als den Zeigefinger anklagend auf eine Innovation zu richten, die sich selbst in Frage stellt.

Die Ausstellung wurde vom Guggenheim Museum und dem Williams College Museum of Art konzipiert und zunächst in Ohio, New York und Massachusetts gezeigt. Von dort wanderte sie nach Düsseldorf, Frankfurt ist die letzte Station. In den USA ist gegen „Refigured Painting“ (Originaltitel) heftig polemisiert worden, vor allem gegen „Deutschtümelei“ und das, was als „deutsche Seele“ bezeichnet wurde: Schwere, Verstrickung im Mythos, erdrückende Tradition. Dies mag nicht zuletzt der Präsentationsform selbst zu schulden sein: Das Schneckenhaus Guggenheim brach schier zusammen unter der Last von ursprünglich 160 Gemälden, die, dicht gehängt, ihr Gewicht noch gegenseitig zu verstärken schienen. Die Frankfurter Präsentation ermöglicht, auch durch Verzicht auf mehr als 40 Werke, einen freieren Blick. Sicher ist das Publikum ruhiger geworden in der Betrachtung dieser Bilder, klüger auch. Der ausgezeichnete Katalog zur Ausstellung macht den Versuch, die narrative deutsche Malerei nicht nur kunsthistorisch, sondern auch historisch einzuordnen. Er erinnert an Günther Grass‘ Rede als Präsident der Berliner Akademie der Künste im Jahre 1985, in der dieser die Erfahrungen als junger Künstler in der Nachkriegszeit rekapituliert und sein damaliges Unbehagen an der Avantgarde formuliert: „Wenn in der Literatur herkömmliches Gräserbewispern preiswürdig war und Autoren wie Wolfgang Koeppen und Arno Schmidt im Abseits blieben, stand in der Bildenden Kunst die Moderne ganz vorn; freilich nur dann, wenn sie sich gegenstandslos anbot. Von all dem Häßlichen, das man glücklicherweise hinter sich zu haben meinte, sollte möglichst nichts zu erkennen sein. Chiffren, ja. Ornamente, gewiß. Auch Materialien, Strukturen die Menge. Die reine Form. Nur Überdeutliches nicht, nichts, das als Bild schmerzte. Kein Dix, kein Kirchner, kein Beckmann zwang das erlebte Grauen ins Bild.“

Hier werden das kunstgeschichtliche und das geschichtliche Argument gegeneinander ausgespielt, auch das persönliche gegen das Akademische: Hat die völlige Wendung zur „reinen Kunst“ eine große Bedeutung innerhalb ihrer eigenen Tradition und erscheint als logische Fortsetzung der Malerei mit anderen Mitteln, steht auf der anderen Seite das fragende, zutiefst unzufriedene Subjekt, das nach Bedeutung und Ausdruck von Erfahrung verlangt. Begreiflich war eine Scheu vor dem Erkennbaren, dem Gegenständlichen, das durch Nazi-Kunst einerseits, den „sozialistischen Realismus“ andererseits derart denunziert worden war, daß der Ausweg ins Nicht-Inhaltliche vielen der einzige schien, der mit aufrechtem Gang zu beschreiten war. In diese Kunst der Abstraktion, die mit kunsthistorisch gesättigten Argumenten schnell zur Avantgarde per se avancierte, brachen die deformierten, monströsen Kreaturen eines Baselitz ein, erst am Rande stehend, nun in der Mitte der Aufmerksamkeit. Zunächst galt ihnen nur der scharfe Blick des Staatsanwaltes: „Die große Nacht im Eimer“ (1962) wurde wegen seines ins Immense wuchernden Phallus damals beschlagnahmt.

Selbstverständlich ist es unmöglich, bei einer derartigen Fülle von Ausstellungsobjekten einen „roten Faden“ zu ziehen. Die Konzeption der Ausstellung sieht Einheitlichkeit, der „Randfiguren“ zum Opfer fallen, glücklicherweise nicht vor. Erkennbar sind Gemeinsamkeiten allenfalls durch Negation: Keine Performance-Art, keine serielle Kunst, keine neuartigen Techniken, keine Sprengung des klassischen Rahmenrechtecks etc. Gleichwohl gibt es Räume, in denen eine spezifische Atmosphäre herrscht, und es gibt eben jene Häufung mythologischer und konkret historischer Motive, welche die US-amerikanische Ablehnung mitbegründeten.

Im ersten Austellungsraum hängt an einer Trennwand außen das berühmte „Cafe Deutschland“ (1978) von Jörg Immendorf. Häßliche Männer sitzen an gemütlichen Kaffeehaustischen, hinter ihnen geifert ein Wolfskopf in ein Rednermikrophon. Uniformierte inspizieren Bücher, über den Köpfen hängen Kampfmaschinen, auf dem Dach stehen weitere häßliche Männer in grünen Mänteln und mit großen Netzen. An den Seiten Stacheldraht, alle werden langsam eingemauert...

Im Innenraum stellt A.R. Penck die Frage „Quo vadis Germanie?“ (und mit dem gut lesbaren Titel gemütlich eine Falle auf, in die Katalogredaktion und Ausstellungsleitung prompt hineintappen: beide machen aus dem mehrdeutigen Titel ein eindeutiges „Germania“). Figuren greifen einander an, auf einer riesigen weißen Fläche drohen, einem Wandteppich als Schlachtengemälde gleich, Auge um Auge, Kämpfer um Kämpfer, Tier um Tier. Der Fuß eines Strichmanns endet im Hakenkreuz, von oben stürzt ein Bundesadler herab, den Schnabel nach unten gerichtet. Rot, Blau und Schwarz mischen sich zu einem müden Rost, ochsenblutfarben. Unwillkürlich drängen sich Assoziationen an die Höhlenzeichnungen der Mittelsteinzeit auf, die ältesten Zeugnisse der Malerei und wenn es denn eine Höhe der Moderne gibt, so ist es der U -Bahn-Schacht, wo Abwärme der Maschinen und menschlicher Atem sich zu einem Dunst vermischen, der in den großen Städten manche vor dem Erfrieren bewahrt. Die Höhlenmalerei der Gegenwart ist der Graffiti, bei dem archaisch anmutende Stilisierungen, den Strichmännchen der ersten Felsmalereien ähnlich, einen Tanz ums Leben vollführen. Symbole wechseln Bedeutung und Besitzer, die Wände wechseln unaufhörlich ihr Gesicht; eine dieser Wände tritt uns hier entgegen und zeichnet die Verfassung Deutschlands: Vereinzelung, Gewalt und sich verschlingende Geschwindigkeit.

Verstörter, ungeschlachter zeigen sich die Werke Baselitz‘, in beträchtlicher Anzahl vertreten. Neben den letzten, schreiend farbigen Bildern mit zwanghaft wiederholten banalen Motiven (Frau, Stuhl, Radieschen) sind die Werke aus den sechziger Jahren überzeugender, straffer komponiert, eindringlicher gestaltet. Der vorherrschende Eindruck von Brutalität in Farbe und Strich wendet sich im Nebenraum, wo die Fleischerszenen von Norbert Tadeusz von den Wänden drohen, ins Inhaltliche: Zeigt Baselitz eine verdrängte Wirklichkeit des Subjektiven, erinnert Tadeusz mit aggressiver Kälte an die verdrängte Wirklichkeit des Sozialen; Deutschland, ein Schlachthaus.

Eine weniger obsessive, dafür in Technik und Motivwahl souveränere Auseinandersetzung mit dem „Modell Deutschland“ führt die lose Gruppierung „kapitalistischer Realismus“ (in ironischer Abgrenzung gen Osten) : Sigmar Polke und Gerhard Richter beispielsweise wechseln Themen und Ausdrucksformen mit höchster Meisterschaft, weit entfernt von jener dringlichen Selbstdarstellung ihrer jüngeren Kollegen, die nach einer gewissen Dosis Sehen den Eindruck erweckt, man sei unversehens in die Sitzung einer Berliner Männergruppe geraten. Beide zitieren aus der deutschen Wirklichkeit der Nachkriegszeit distanziert, fast lässig. Die verwackelte Aufnahme eines Hirsches, die Gerhard Richter in die Mitte seines Bildes setzt, verknüpft sich mit Assoziationen vom klassischen röhrenden Hirsch im Wohnzimmer und der Nachkriegströstung „Jägermeister“ für allzu volle Wohlstandsbäuche - und verbreitet so ihre Wahrheit mit List. Die 'Suchbilder‘ „Tourist (mit Löwen)“ verführen das Auge durch ihre subtile Technik zu einem Erkennungsspiel mit drastischem Ausgang und stellen, gerade durch die Diskretion ihrer Darstellung, zwischen Betrachter und Bild eine spannungsreiche, festere und aufmerksamere Bindung her, als Provokationen auf den ersten Blick es vermögen.

Am Ende der Ausstellung erwarten zwei Künstler anderer Art die überreizten Augen: Im letzten geschlossenen Raum sinniert Amselm Kiefer über das Schicksal Deutschlands mit den Monumentalwerken „Hoffmann von Fallersleben auf Helgoland“ (1983-86), „Wege: märkischer Sand“ (1980) und schließlich der legendären „Herrmanns-Schlacht“ (1980); an der hinführenden Wand überrascht Christa Näher mit zwei Werken von äußerster Eindringlichkeit: „Minotaurus“ (1985) zeigt die mythische Gestalt mit dem Totenschädel eines Stieres, angsterregend und erbarmungswürdig zugleich, vor einem gewittrig abstrakten Hintergrund in apokalyptischen Tönen. „Ohne Titel“ (1988) zeigt einen abgezehrten Pferdekopf auf menschlich wirkenden Schultern, ein Fabelwesen auf Kirchenfensterfarben schimmernd, leuchtend, mit unscharfer Silhouette. Beide Werke ziehen den Betrachter unaufhaltsam ins Bild und bleiben in der Schwebe zwischen alptraumhafter Beklemmung und äthetischer Auflösung.

„Quo vadis, Germanie?“ Glaubt man dieser Ausstellung, sind die meisten Wege düster, und im Gemenge der Wiedergänger sind die trunkenen Stimmen die lautesten. Dionysische Gestalten taumeln durch die großen Städte Deutschlands in der Nacht, die Bilder ihrer Erfahrung wandern in die Flure der Deutschen Bank. Diese, ein Sponsor (neben Karstadt Düsseldorf, der Lufthansa und anderen), kann gelassen zusehen, wie mit der Schau der Marktwert ihrer Anlageschützlinge steigt. Die Vermutung bleibt, daß bei einer weniger marktpointierten Zusammenstellung das Gesamtbild differenzierter erschiene. Der Sieg nach (roten) Punkten geht an Dionysos.

Bis 22.10. in der Kunsthalle Schirn. Der Katalog mit Künstlerbiographien und Bibliographie kostet 49 DM und ist bei Prestel erschienen.

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