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Siebzig Jahre für US-Atommeiler

■ In den USA nehmen Pläne Gestalt an, die Betriebsgenehmigungen von Atomkraftwerken zu verlängern / Überlebenshilfe für die darniederliegende Atomwirtschaft birgt Explosion des Risikos

Berlin (taz) - Auch nach Harrisburg liebt die US -amerikanische Atomindustrie das Risiko. Störanfällige Altreaktoren der ersten Generation sollen nicht mehr nach vierzig, sondern erst nach siebzig Jahren endgültig abgeschaltet werden. Das sieht das „Plant Life Extension Program“ (PLEX, „Programm zur Verlängerung der Lebensdauer von Atomreaktoren“) der staatlichen US-Atomaufsichtsbehörde NRC vor und zielt damit auf eine Ausdehnung der auf maximal vierzig Jahre befristeten Betriebsgenehmigungen.

Derzeit gebe es „keine technisch überzeugenden Argumente, daß Atomkraftwerke nicht über ihre ursprünglich erteilten Betriebsgenehmigungen hinaus sicher weiterbetrieben werden können“, betont die NCR. Die mit keinem Werkstoff vermeidbare Versprödung der Reaktordruckbehälter - ein Hauptrisiko der sowjetischen WWER-Reaktoren in Greifswald wird dabei geflissentlich übersehen. Für den amerikanischen Greenpeace-Mitarbeiter Peter Grinspoon, der seine europäischen Kollegen jüngst über die Pläne jenseits des Atlantiks unterrichtete, steht fest: Die Umsetzung dieser Vorhaben beschert dem Land „zunehmend gefährliche und schmutzige Reaktoren“.

Die Betriebsgenehmigungen für eine große Zahl der amerikanischen Atommeiler laufen um die Jahrtausendwende aus. Bis dahin sollen neue Richtlinien festgeschrieben werden. Ihre konkrete Ausgestaltung entscheidet nach Meinung Grinspoons darüber, ob die USA den atomaren Energiepfad auch nach dem Jahr 2000 unverändert fortsetzen.

1,0 bis 2,8 Milliarden Dollar könnten die amerikanischen Stromversorger pro Jahrzehnt und 1.000 Megawatt Leistung rechnerisch am Weiterbetrieb ihrer maroden Uraltmeiler verdienen. Außerdem würden die immensen Kosten für Stillegung, sicheren Einschluß und schließlich den Abriß der ausgebrannten Ruinen weit in die Zukunft verschoben. Schließlich wäre die Abhängigkeit der USA von der Atomenergie auf lange Sicht gesichert. Das Department of Energy (DoE) hat kürzlich vorgerechnet, daß sich der Anteil des in den USA atomar erzeugten Stroms ohne PLEX von 20 Prozent (1989) auf 14 Prozent im Jahr 2010 reduzieren würde. Die Behauptung, Atomenergie sei für die Stromversorgung unverzichtbar, wäre damit als Märchen entlarvt. „Die Menschen“, glaubt Grinspoon, „würden sich mehr und mehr an die Idee einer atomfreien Zukunft gewöhnen“.

Heute scheint allerdings fraglich, ob die Stromindustrie auf das unter anderem auch vom französischen staatlichen Stromkonzern Electricite de France unterstützte Programm überhaupt in großem Stil anspringt. Sollten die Richtlinien nicht rasch und zielstrebig verabschiedet werden und die Betreiber neue Genehmigungshürden in den Weg stellen, meinte jüngst ein US-Strommanager, würden die Atomiker PLEX genausowenig in Anspruch nehmen, wie seit bald fünfzehn Jahren die Möglichkeiten zum Bau neuer Anlagen. Heute werden viele Reaktoren in den USA schon vor Ablauf ihrer Betriebsgenehmigungen stillgelegt, weil explodierende Betriebs- und Instandhaltungskosten die Uraltreaktoren für die Betreiber zu „ökonomischen Alpträumen“ werden lassen. Da „alles Gute“ von jenseits des großen Teichs komme, meint Ingrid Reinecke von Greenpeace Hamburg, müßten sich die europäischen AKW-Gegner bald auf entsprechende Planungen hierzulande einstellen.

Gerd Rosenkranz

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