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Siebenjähriger an die Front

■ Eltern in Ex-Jugoslawien verschollen / Vormundschaftsrichter widerspricht Ausländerbehörde / Die will auf jeden Fall abschieben Von Kaija Kutter

Im Streit um die Abschiebung eines Kindes hat sich erstmals das Hamburger Vormundschaftsgericht eingemischt. Am 22. Februar untersagte (wie erst gestern bekannt wurde) Richter Panzer der Ausländerbehörde per „einstweiliger Anordnung“, einen siebenjährigen Jungen in das ehemalige Jugoslawien abzuschieben. Die Eltern des Kindes sind verschollen, „vermutlich tot oder in einem Konzentrationslager“, sagt Rechtsanwalt Hans-Werner Friedel. Nach einem Telefonanruf aus Zagreb im Februar 1993 habe man nichts mehr von den beiden gehört.

Das war zwei Wochen, nachdem das Ehepaar ausreisen mußte, weil sie nicht länger in Hamburg geduldet wurden. Die Kleinfamilie war im November 1992 aus dem umkämpften Bihac geflüchtet. Ihren Sohn ließen sie beim Großvater in Hamburg, der bereits seit 20 Jahren in Deutschland lebt und inzwischen auch die Vormundschaft für das Kind hat. Trotzdem hat die Ausländerbehörde die „sofortige Vollziehung“ angeordnet. Ein Antrag auf Aufschiebung wurde sowohl vom Verwaltungsgericht als auch vom Oberverwaltungsgericht der Hansestadt abgelehnt.

Eine Entscheidung, die bei einem 7jährigen „völlig absurd“ sei, sagt Sabine Kohlhof von Verein „Jugendhilfe“, der in Hamburg minderjährige Flüchtlinge betreut. Das Haager Minderjährigenschutzabkommen verbiete die Abschiebung von Kindern, wenn die Eltern nicht auffindbar sind. Eine Argumentation, der auch das Vormundschaftsgericht folgte.

Die Chancen stünden gut, daß die einstweilige Anordnung aufrecht erhalten wird, sagt Rechtsanwalt Friedel, der den Jungen vertritt. „Wir sehen das als Entscheidung eines nicht zuständigen Gerichts“, sagt dagegen Ausländerbehörden-Referent Norbert Smekal. Abschiebung sei eine verwaltungsrechtliche und keine zivilrechtliche Entscheidung. Sollte das Vormundschaftsgericht bei seiner Auffassung bleiben, werde die Ausländerbehörde Beschwerde vor dem Landgericht einreichen. In Frankfurt hatte sich schon einmal ein Vormundschaftsgericht quergestellt. Leider wurde dort dem Asylrecht Vorrang gegeben.

Aus Behördensicht gab es für die Eltern keine Notwendigkeit, das Kind hierzulassen. Der Großvater könnte doch dafür sorgen, daß der Junge zu ihnen zurückgeführt wird, schlägt Smekal vor. Der Nachweis, daß er Vollwaise ist, sei noch nicht erbracht. Bevor es zur Abschiebung kommt, will die Ausländerbehörde die Entscheidung des Petitionsausschusses der Bürgerschaft abwarten.

Wie immer die letzte Adresse, wenn Behörden für Argumente des gesunden Menschenverstands unerreichbar sind.

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