: Shell, geh voran! Von Rüdiger Rosenthal
Nächste Woche ist es soweit: Mit 99prozentiger Sicherheit verkündet der Ölmulti Shell, daß seine ausgediente Ölplattform Brent Spar an Land geholt, recycelt und nicht in der Tiefsee versenkt werden wird. Schrottplattform zu Schnellkochtöpfen – ein Happy-End für Nordsee, Greenpeace und den Shell-Konzern?
Wir erinnern uns: Um die Versenkung zu verhindern, haben Hunderttausende von AutofahrerInnen im Frühsommer 1995 nicht mehr an Shell- Tankstellen gestoppt, sondern bei anderen Ölmultis getankt. Kurz nachdem die Versenkung der Brent Spar abgeblasen war, geriet Shell erneut in die Kritik: Das Regime des Diktators Abacha in Nigeria ermordete den Schriftsteller Ken Saro Wiwa und andere Ökoaktivisten. Shell stand am Pranger, weil das Unternehmen zuwenig für ihre Rettung getan und verschiedene Umweltsünden in Nigeria zu verantworten hatte. „Wir haben dazugelernt“ hieß es 1995 in Riesenanzeigen der Shell AG – auch in der taz erschien eine.
Was ist seitdem passiert? Shell hat seine Unternehmensziele moralisch geliftet, den früheren Hamburger Umweltsenator Vahrenholt in den Vorstand geholt und investiert jetzt richtiges Geld in die Solartechnologie. Und nun soll also die Brent Spar an Land.
Also alles in Butter? Wohl kaum. Noch immer gibt es keine Pläne zur umweltgerechten Zerlegung der meisten dieser Anlagen, noch immer werden neue Ölfelder im Atlantik erschlossen und weltweit immer mehr Öl, Gas und Kohle gefördert und verschwendet. Der Klimagipfel in Kioto hat es noch einmal deutlich gemacht: ein Ende der Aufheizung der Atmosphäre ist nicht in Sicht. Klima und Wetter spielen derweil verrückt. Die großen Versicherungskonzerne warnen schon, daß sie die Schäden durch Stürme und Überschwemmungen nicht mehr werden bezahlen können.
Die Brent Spar – verankert in einem norwegischen Fjord – ist weiterhin das Symbol für einen wirksamen Ökoprotest mobilisierter Konsumenten. Wohl kein Industrieunternehmen könnte heute so unverfroren wie Shell damals vor den Augen der Weltöffentlichkeit eine ähnliche Umweltsünde begehen wollen im Glauben daran, es würde schon keiner mitkriegen. Norwegen und Großbritannien wollen zwar noch immer einzelne ausgediente Öl- oder Gasplattformen versenken, die anderen Nordseeanrainerstaaten und die meisten Experten aber sind dagegen. Rund 400 solcher Plattformen stehen im Industriegebiet Nordsee. Lukrative Aufträge für Abwrackfirmen, deren Kosten übrigens nur einen Bruchteil der Gewinne ausmachen, die mit den Förderanlagen erzielt werden.
Doch kehren wir zurück zu den Ölmultis: Sie haben vor Kioto verkündet, sie würden sich Vereinbarungen für mehr Klimaschutz nicht in den Weg stellen. Die Botschaft hören wir gern, doch reicht sie aus? Was wäre, wenn die Großen wie Shell, Esso, BP, Agip oder Elf den Weg zu mehr Umweltschutz bereiten würden? Sie könnten sich zum Beispiel für die reelle Berücksichtigung der Umweltbelastungen aus der Ölnutzung im Ölpreis einsetzen. Sie könnten – was die großen Autofirmen ablehnen – Kampagnen für Sparmobile starten. Sie könnten sich an die Konsumenten wenden und einen Wettbewerb um Energiesparideen ausrufen, sie könnten in den öffentlichen Güter- und Personentransport einsteigen und so fort.
Das Wort ,diversifizieren‘ könnte dann einen neuen Klang bekommen und nicht vor allem bedeuten, daß die großen Unternehmen in andere Branchen einsteigen – so wie die Stromkonzerne in das Telefon- oder Müllgeschäft –, schlicht um kräftig mitzuverdienen. Das Einsteigen woanders reicht sicher nicht aus, um die Umweltprobleme von heute und morgen zu lösen: Umsteigen ist angesagt in andere Fahrtrichtungen.
Doch wir sollten diese Aufgabe nicht den Ölmultis überlassen. Abwarten nach dem Motto „Shell, geh voran, wir folgen dir“ ginge bestimmt schief. Wir müssen uns wohl oder übel gemeinsam auf den Weg in eine andere Energiezukunft machen, Wind- und Sonnenstrom ernten und den Ausstieg aus der Atomenergie vorantreiben, Müll vermeiden und sortieren, mehr Bahn fahren und auf den Inlandflug verzichten, weniger Chemikalien verwenden und so weiter. Der Weg ist das Ziel, lautet eine alte und immer neue Weisheit. Das gilt nicht nur für Shell, sondern auch für seine Kunden und Kritiker.
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