Sexuelle Gesundheit: Gummis nicht mehr sexy
Die Zahl der HIV- und Syphilisinfektionen steigt vor allem unter Homosexuellen. Doch der Senat verschiebt sein neues Präventionskonzept auf Herbst.
Aids breitet sich aus: Im Jahr 2008 haben sich 452 Berliner mit dem HI-Virus angesteckt. Das geht aus Daten hervor, die das Robert-Koch-Institut am Montag veröffentlichte. Damit liegt Berlin an zweiter Stelle der Bundesländer hinter Nordrhein-Westfalen mit 685 gemeldeten Fällen. Die Zahl der Neudiagnosen in Berlin nimmt deutlich zu: 2007 gab es 412 Infektionen, 2001 lagen die Zahl der Ansteckungen noch bei 200. Nicht nur Aids, auch andere sexuell übertragbare Krankheiten greifen um sich: So stieg die Zahl der Syphilisfälle von 454 im Jahr 2007 auf 655 im Jahr 2008 sprunghaft an.
Vor allem Schwule sind von den Infektionen betroffen. "Es gibt unter Homosexuellen einen Trend zu ungeschütztem Sex", erklärte Regina Kneiding, Sprecherin der Senatsverwaltung für Gesundheit. Alexander Zinn vom Lesben- und Schwulenverband bestätigte das: "Viele Schwule sind offenbar unvorsichtiger geworden." Weil das Sterben nicht mehr so sichtbar sei, habe Aids einen Teil seines Schreckens verloren. "Die einen sind verliebt und verlassen sich auf die Treue des Partners. Andere trauen sich bei einem Flirt nicht, das Thema anzusprechen", so Zinn.
Vertreter von Schwuleneinrichtungen kritisieren schon lange, dass die Fördermittel für die Präventionsarbeit bei homosexuellen Männern zu gering sind. Thomas Birk, lesben- und schwulenpolitischer Sprecher der Grünen, teilt diese Einschätzung: "Der Senat gibt fast genauso viel Geld für die Prävention sexueller Krankheiten bei Drogenkranken wie für die Prävention bei schwulen Männern aus." Das sei nicht verständlich, wenn man die Zahlen betrachte: 329 HIV-Neuinfektionen wurden laut Robert-Koch-Institut im vergangenen Jahr bei Homosexuellen festgestellt. Dem stehen lediglich 5 Ansteckungen durch verschmutzte Spritzen gegenüber.
Wird der Senat seinen Schwerpunkt bei der Prävention sexuell übertragbarer Krankheiten angesichts der neuen Zahlen verschieben? "Die Probleme stoßen auf offene Ohren", sagte Regina Kneiding. Die Gesundheitsverwaltung arbeite zurzeit an einem neuen Rahmenkonzept. Eigentlich sollte es schon Ende Mai fertig sein. Doch Senatorin Katrin Lompscher (Linkspartei) hat das Abgeordnetenhaus um Aufschub bis November gebeten.
Das ist viel zu spät, kritisierte Thomas Birk. "Dann sind die Verhandlungen über den Doppelhaushalt 2010 und 2011 vorbei." Wenn man mit dem Präventionskonzept etwas erreichen wolle, müsse es vorliegen, bevor es um die Verteilung der Gelder gehe. Er unterstellt der Gesundheitsverwaltung politisches Kalkül: "Die Verwaltung will keine Bewegung in diesem Bereich. Sie hat andere Prioritäten." Kneiding wies die Kritik zurück. "Geld allein macht es nicht", erklärte sie. "Wir müssen wieder stärker ins Bewusstsein bringen, das HIV nach wie vor eine tödliche Gefahr darstellt."
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