: Serbischer Schauprozeß
■ 230 Jahre Haft für 69 albanische Polizisten aus dem Kosovo
Wien (taz) – In einem Schauprozeß verurteilte am Montag ein serbisches Gericht 69 Kosovo-Albaner zu insgesamt 230 Jahren Haft. Die Angeklagten wurden des „bewaffneten Aufstands“ und der „Untergrabung der staatlichen Souveranität Serbiens“ für schuldig befunden. Für acht Jahre hinter Gittern müssen die vermeintlichen Anführer der „Sezessionisten“, Avdija Mehmedoviq und Jonuz Terstena, einige minderjährige Absolventen der Polizeiakademie erwartet eineinhalb bis zwei Jahre Jugendarrest.
Bezeichnend für das Verfahren war der Ort der Urteilsverkündung: Nicht vor dem Bezirksgericht von Pristina, sondern im ehemaligen Parlamentsgebäude der einst autonomen albanischen Provinz Kosovo erfolgte der Richterspruch. In dem geschichtsträchtigen Haus war es 1987 mit Hilfe paramilitärischer Polizeieinheiten zu einer blutigen Massenverhaftung albanischer Abgeordneter gekommen, als diese – so die offizielle serbische Version – gemeinsam mit „serbenfeindlichen Kreisen“ in Slowenien, Kroatien, Mazedonien und Bosnien die Zerschlagung Jugoslawiens vorbereiten wollten. Tatsächlich forderten die etwa zwei Millionen Kosovo-Albaner von der damals noch kommunistischen Belgrader Zentralregierung weitreichende politische Autonomie. Die albanischen Kommunisten schlossen sich außerdem mit ihren Genossen außerhalb Serbiens zu einer Reformplattform zusammen.
Seit der gewaltsamen Niederschlagung der Reformbewegung steht der Kosovo unter serbischen Ausnahmezustand, ließen in den vergangenen Jahren über hundert Albaner bei Demonstrationen gegen die serbische Staatsmacht ihr Leben, verschwanden Tausende Jugendliche aufgrund „staatsfeindlicher Propaganda“ im Gefängnis, verloren Zehntausende aus politischen Gründen ihren Arbeitsplatz – und die letzte Säuberung scheint nun die albanische Polizei zu treffen.
Seit Anfang des Jahres vergeht kaum eine Woche, in der nicht vermeintliche „terroristische Vereinigungen“ oder „bosnische Symphatisantennester“ ausgehoben werden und die serbischen Polizeichefs nicht auf frischer Tat Staatsfeinde ausmachen, „die in illegalen Zirkeln die serbische Ordnung zu untergraben trachteten“. Bisher laufen gegen 3.500 albanische Polizisten Ermittlungen. Über 200 Ex- Beamte sitzen in Haft. Der am Montag verurteilte „Seperatisten“-Führer Mehmedoviq sieht für die albanische Volksgruppe in Serbien eine düstere Zukunft voraus: „Wann steigert sich die serbische Repression zum offenen Krieg – ich sehe keine Vernunft und keinen Grund, mich vor einem Unrechtsregime zu verteidigen.“ Karl Gersuny
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen