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Serben rücken weiter vor in Bosnien

■ Appell des bosnischen Präsidenten an seinen serbischen Kollegen: „Befehlen Sie den Rückzug!“/ In Zvornik flohen Tausende von Moslems vor serbischen Freischärlern in die mittelalterliche Festung

Sarajevo (dpa/afp) — Angesichts eines weiteren Vormarsches der Serben in der ehemaligen jugoslawischen Republik Bosnien-Herzegowina hat sich der bosnische Präsident in einem dramatischen Appell an seinen serbischen Amtskollegen gewandt. „Ich fordere den serbischen Präsidenten Slobodan Milosevic auf, den Rückzug der Serben aus Bosnien-Herzegowina zu befehlen“, sagte Alija Izetbegovic am Freitag in einer wiederholt ausgestrahlten Fernsehrede. Die Führung der von den Serben beherrschten jugoslawischen Armee solle „ein Massaker an den Moslems verhindern“.

Die von der Bundesarmee unterstützten serbischen Milizen setzten ihre Strategie weiter fort, nach und nach die von ihren Landsleuten bewohnten Gebiete zu besetzen. Nach der Einnahme der Stadt Zvornik (100 Kilometer nordöstlich von Sarajevo) durch die Serben flohen mehrere tausend Moslems nach Angaben von Radio Sarajevo in die mittelalterliche Festung der Stadt, die unter Granatenbeschuß genommen wurde. Schwere Artillerie- und Infanteriegefechte wurden zudem aus Kupres gemeldet. Kämpfe gab es auch in Sarajevo sowie in drei weiteren Ortschaften nahe der Grenze zu Serbien. In der Stadt Visegrad drohten die Moslems mit der Sprengung einer verminten Talsperre, sollten die Serben ihren Vormarsch nicht stoppen. Der für Bosnien zuständige Armeegeneral Milutin Kukanjac erklärte inzwischen, die Armee habe in Zvornik nicht eingegriffen. Die Lage dort sei „nicht ernst“. Die Führung der moslemischen Volksgruppe in Bosnien appellierte unterdessen an die UNO, sich für den Schutz der Moslems in Zvornik einzusetzen, die „Opfer von Pogromen durch die serbischen Milizen“ seien. Dutzende Moslems seien getötet und zahlreiche weitere verletzt worden. Im Laufe des Tages sollten Beobachter der UNO, der EG und des Roten Kreuzes in dem von Serben umzingelten Ort eintreffen.

In einem Vorort der Hauptstadt Sarajevo lieferten sich unterdessen Moslems und Serben schwere Gefechte, meldete die Belgrader Nachrichtenagentur 'Tanjug‘. Außerdem sei das Serbenviertel Vraca von moslemischen Milizen angegriffen worden, die Armee habe mit schwerer Artillerie und Panzerkanonen zurückgeschossen. Radio Sarajevo berichtete von Granateneinschlägen in der Altstadt. Mehrere Menschen seien verletzt worden.

Nach Angaben des kroatischen Fernsehens brachten kroatische Truppen unterdessen wieder das Stadtzentrum von Kupres unter ihre Kontrolle. Den Serben seien dabei große Verluste zugefügt worden. Mindestens 300 Gefangene wurden demnach gemacht. In Kroatien beschoß die Bundesarmee nach Zagreber Angaben slawonische Städte mit schwerer Artillerie.

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