: Sensibilitätsfragen Von Klaudia Brunst
Natürlich sind wir auch stolz auf unseren kleinen Hund. Er entwickelt sich nämlich – von ein paar pubertären Eigensinnigkeiten einmal abgesehen – prächtig. Neulich trafen wir zum Beispiel zufällig im Park eine Bekannte aus der Welpengruppe. Sie habe ihre reinrassige Münsterländerdame nun auch zum Fortgeschrittenenkurs angemeldet, informierte sie uns, „wegen der perfekten Erziehung“.
Meine Freundin und ich hatten soeben beschließen müssen, daß unsere Haushaltskasse diesen Edukationsschritt bei aller Liebe nicht mehr zuläßt. Aber das kann man reichen Rassehundbesitzern natürlich keinesfalls erzählen. „Haben wir nicht nötig“, schwindelte ich also, „unser Hund lernt spielend – und mit Erfolg.“ So ganz entsprach das zwar nicht der Wahrheit, aber an diesem Morgen hatte sich unser Hund immerhin schon einmal entschlossen, auf Zuruf zu kommen und drei Schritte lang perfekt bei Fuß zu gehen.
Die Erläuterungen unserer antiautoritären Erziehungsmethoden schienen also durchaus plausibel, bis sich uns freudig winkend eine Dobermannbesitzerin näherte, die weder ich noch mein Hund ausstehen können. Natürlich überschlugen sich sofort die Ereignisse. Das Tier rannte auf die beiden zu und bellte und knurrte derart widerwärtig, daß die Dame samt Hund mißmutig beidrehen mußte. „Wohl doch noch nicht ganz perfekt erzogen“, schnippte meine Gesprächspartnerin, die den Affront natürlich penibel verfolgt hatte. „Unser Hund ist eben so sensibel“, rechtfertigte ich mich matt, „daß er sogar merkt, wenn ich jemanden nicht leiden kann.“
Erstaunlicherweise zeigte sich meine Welpengruppenbekanntschaft, die wohl auch keine Lust auf die Doberdame hatte, angesichts der ja „geradezu telepathischen Fähigkeiten“ unseres Hundes angemessen beeindruckt. Interessiert erkundigte sie sich nach den Möglichkeiten, diese „erstaunliche Sensibilität“ auch ihrer Hündin beizubringen. „Das ist eine Charakterfrage“, lief ich nun zu wahrem Mutterstolz auf und erfand noch schnell diverse Situationen, in denen mich mein Hund angeblich vor nervtötenden Zeugen Jehovas, unangenehmen Zufallsbekanntschaften und lästigen Verfechtern des kotfreien Bürgersteigs bewahrt hätte. Insgeheim sehnte ich mich danach, Münchhausen zu sein. Der Hund könnte dann tatsächlich mein aufdringliches Gegenüber samt Münsterländerin und Bleikugel noch in dieser Sekunde auf den Mond bellen. Ich habe schließlich Wichtigeres zu tun, als naiven Rasse-Schnepfen das Blaue vom Himmel zu schwätzen.
Während ich noch mit irrem Blick den Park nach einem rettenden bekannten Gesicht absuchte, stieß meine Gesprächspartnerin unvermittelt ein markerschütterndes „Das ist ja wohl die Höhe!“ aus. Mein Hund, der wohl auch langsam die Faxen dicke hatte, hatte ihr soeben an die Gabardinehose gepinkelt. „Das wird Folgen haben“, schnaubte die derart Markierte und zog von dannen, um ihre Hose zu wechseln. „Von wegen telepathische Fähigkeiten!“, rief sie uns noch hinterher. „Dein Hund ist einfach nur miserabel erzogen!“ Während ich noch versuchte, möglichst betroffen auszusehen, fiel mein Blick auf meinen schwanzwedelnden Hund. Ich schwöre, er hat mir tatsächlich ein Auge gekniffen. Ist er nicht großartig?
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