Senator Tjarks über die Mobilitätswende: „Deutlich mehr Radverkehr“

Mehr Radwege, eine autoarme Innenstadt, besserer öffentlicher Nahverkehr: Anjes Tjarks (Grüne) will den Straßenraum umverteilen.

Ein Mann mit Warnweste stellt Hütchen auf einer Fahrbahn auf, neben ihm ein Fahrradanhänger

Verkehrswende selbst gemacht: Pop-up-Radspur auf der Hamburger Stresemannstraße Foto: Georg Wendt/dpa

taz: Herr Tjarks, wie fühlt man sich als Verkehrssenator, der im Hafen und Flughafen nichts zu sagen hat?

Anjes Tjarks: Erst mal fühle ich mich total gut. Wir haben den Auftrag, die Mobilitätswende zu organisieren. Dafür ist die Behörde gut ausgestattet mit dem Amt für Verkehr, dem Landesbetrieb Verkehr, dem Landesbetrieb Straßen, Brücken und Gewässer und auch der Zuständigkeit für das Verkehrsrecht. Wir glauben, dass wir damit viel bewegen können.

Die Zuständigkeit für das Verkehrsrecht ist neu …

Aus der Innenbehörde kommt ein Teil zu uns, ja. Da nehmen wir die Trennung zwischen der konzeptionellen Steuerung in der neuen Verkehrsbehörde und der praktischen Anwendung durch die Innenbehörde vor. Zu uns gehören dann zukünftig zum Beispiel die Straßenverkehrsordnung und die Steuerung des Landesbetriebes Verkehr, der unter anderem für das Parkraummanagement zuständig ist.

Die Bezirksversammlungen fühlten sich mit ihren Vorschlägen ja oft ausgebremst durch die Polizei.

Dabei geht es um die Straßenverkehrsbehörde. Die bleibt bei der Innenbehörde. Wir werden kooperieren und mit Innensenator Andy Grote (SPD) gute Lösungen finden.

In der vergangenen Legislaturperiode konnten Bürger Tempo-30-Zonen vorschlagen. Oft fühlten sie sich dabei von der Polizei ausgebremst. Wird sich das ändern?

Das Programm liegt weiterhin bei der Innenbehörde. Wir haben verabredet, deutlich mehr Tempo-30-Strecken vor besonders schützenswerten Einrichtungen zu schaffen. Es wird darüber hinaus weitere Wünsche aus der Bevölkerung geben, die man sich dann ansehen muss.

Es soll eine Senatskommission für Klimaschutz und Mobilitätswende geben, der der Erste Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) vorsitzt. Ist die Kommission der Aufpasser für die beiden grünen Senatoren für Umwelt und Verkehr?

Fachlich sind die jeweiligen Behörden zuständig. Sie erarbeiten auch die Vorschläge. Ich empfinde es eher als starkes Signal vom gesamten Senat bei diesem wichtigen Thema. Klimaschutz darf nicht nur ein Thema der Grünen sein, sondern muss eines des ganzen Senats, der ganzen Gesellschaft sein. Ohne die Einsicht der Gesellschaft werden wir den Klimaschutz nicht mit der nötigen Kraft vorantreiben können. Das Gleiche gilt für die Mobilitätswende. Wir werden viele Milliarden Euro ausgeben müssen. Deshalb ist es sehr wichtig, dass sich auch der Erste Bürgermeister um diese Themen kümmert.

„Klimaschutz darf nicht nur ein Thema der Grünen sein, sondern muss eines des ganzen Senats, der ganzen Gesellschaft sein“

Trauen Sie Wirtschaftssenator Michael Westhagemann zu, dass er den Lärm und CO2-Ausstoß des Flughafens stabilisiert?

Wir haben vereinbart, dass die Belastungen nicht über das Niveau von 2019 hinausgehen sollen. Im Moment haben wir andere Probleme, nämlich dass zurzeit praktisch kein Flugverkehr stattfindet.

Die Grünen haben in den ­Koalitionsverhandlungen sowohl eine neue Köhlbrandquerung als auch die parallele A26 Ost geschluckt. Was haben Sie dafür eingehandelt?

Für uns war es wichtig, dass es für beide Querungen einen Bundeszuschuss gibt. Wir wollen prüfen, ob wir in einem Köhlbrand-Straßentunnel innovative schienengebundene Systeme mit einbauen können. Damit würden wir eine weitere Querung der Süderelbe jenseits des Autoverkehrs schaffen. Wir haben durchgesetzt, dass die Bundesstraße 73 in Harburg nicht nur zu einer Stadtstraße herabgestuft wird, sondern deren Umplanung noch in dieser Legislaturperiode beginnt. Hier können wir Stadtentwicklung an Magistralen ausprobieren.

Beim Radverkehrsausbau hat der vorige Senat seine Ziele verfehlt. Wie soll das diesmal anders werden?

Der Radverkehr wird eines der ersten Themen sein, das wir angehen. Wir wollen den Radwegeausbau verdoppeln. Dafür haben wir durch die Einigung mit der Volksinitiative Radentscheid die Grundlagen geschaffen. Wir wollen vier Programme umsetzen: die Velorouten fertigbauen, die Radschnellwege anpacken, ein Schulradwegnetz bauen und ein Programm für Nebenflächen starten, indem wir Radwege einfach mal sanieren – ohne gleich die ganze Straße umzubauen.

In der vergangenen Legislaturperiode hat der Senat davon profitiert, dass man Radwege einfach auf die Straße pinseln konnte. Nach dem Rad­entscheid ist das nicht mehr möglich.

Wer sagt, die Radwege seien aufgepinselt worden, hat das nicht verstanden. Es wurden Straßen mit einem kompletten Unterbau angelegt. Bei den alten Radwegen kamen ja schon nach ein paar Jahren die Baumwurzeln durch. Wir werden uns aber auch mit Pop-up-Bikelanes befassen, also damit, einen Teil des Straßenraums provisorisch abzutrennen und zu schauen, ob sich dort Radverkehr entwickelt. Diese Umverteilung von Straßenraum planen wir für eine Strecke in der Hafencity, in der Max-Brauer-Allee und vom Schlump zur Hallerstraße.

Über mehr Platz für den Radverkehr könnte man auch an der Sternbrücke über der Stresemannstraße reden. Ist das Thema durch?

Um die Leistungsfähigkeit der Deutschen Bahn zu sichern und den Deutschland-Takt zu ermöglichen, ist es unerlässlich, dass diese Brücke ersetzt wird. In Langenfelde liegt das ICE-Einsetzwerk für halb Deutschland. Wenn die Züge nicht über diese Brücke fahren können, geht nichts mehr. Das ist der entscheidende Punkt. Den Vorschlag der Bahn werden wir uns genau ansehen.

Wie die Brücke aussehen soll, ist noch nicht entschieden?

Momentan gibt es den Entwurf der Bahn.

Gibt es Vorstellungen, wie das Nadelöhr für Fußgänger und Radfahrer unter der Brücke beseitigt werden soll?

Dazu müssen wir Pläne entwickeln. Aber als Radfahr-Fan muss ich sagen: Den Hauptbeitrag für den Umweltverbund leistet an dieser Stelle der Linienbus 3, der da alle fünf Minuten mit 100 Menschen durchfährt. Die Leistungsfähigkeit dieser Linie müssen wir unbedingt erhalten.

Geplant ist auch eine autoarme Innenstadt. An welchen Stellen und von wem erwarten Sie den größten Gegenwind?

Wir haben mit diesen Plänen für eine autoarme und lebendige Innenstadt vor allem Begeisterung erzeugt. Viele Städte, die etwas auf sich halten – London, Paris, Wien – haben das. Das ist eine Riesenchance für eine Innenstadt, sich neu zu erfinden. Der Burchardplatz am Chilehaus etwa ist Hamburgs einziger Platz, der vollständig von Backstein eingerahmt ist – und wir benutzen den als ebenerdigen Parkplatz! Das wollen wir ändern und gleichzeitig die Sorgen der Menschen mit Mobilitätseinschränkungen ernst nehmen.

Was sind die drei Ziele, die Sie in dieser Legislaturperiode unbedingt erreichen wollen?

Deutlich mehr Radverkehr, insbesondere mehr Radwege, den öffentlichen Nahverkehr im Hamburg-Takt angebotsorientiert ausbauen und eine autoarme und lebendige Innenstadt.

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