: Senator Dräger und die Kannibalen
Streichorgie des Wissenschaftssenators: 80 Prozent der Kultur- und Geisteswissenschaften an der Uni Hamburg sollen entfallen. Dekane errechnen den Fächerschwund: Mehr als 30 Disziplinen gefährdet, auch bundesweit einmalige Angebote
von Eva Weikert
Bruno Reudenbach ist enttäuscht: „Die Wissenschaftsbehörde hat offenbar ein Kommunikationsproblem mit der Uni“, kommentiert der Dekan des Fachbereichs Kulturgeschichte und Kulturkunde die Ablehnung der CDU-Regierungsfraktion, eine Anhörung mit Experten und Betroffenen zur umstrittenen HIS-Studie durchzuführen. Diese sagt eine massive Schrumpfung der Uni infolge der Hochschulreform des Senats voraus. Wissenschaftssenator Jörg Dräger (parteilos) hat die von ihm bestellte Bedarfsstudie zur „Zielvorgabe“ erklärt. Drückt er sie durch, entfallen allein in den Kultur- und Geisteswissenschaften mindestens 30 Fächer, wie Reudenbach und seine Kollegen jetzt erechnet haben.
Grund für den Schwund ist der Studienplatz- und Personalbedarf, den die Gutachter von HIS, eines Bund-Länder-Unternehmens, für 2012 ausmachen. Wie berichtet. sollen 20 Prozent der Studienplätze an der Uni entfallen. Die Gesamtzahl der Wissenschaftler soll mit 1.464 zwar gleich bleiben. Die Zahl der Professuren geht aber zugunsten von billigeren wissenschaftlichen Mitarbeitern mit Zeitverträgen massiv zurück. „Mit denen kann man aber keinen Studiengang betreiben“, rügt Kulturwissenschaftler Reudenbach.
Seinen Bereich trifft der Kahlschlag besonders heftig. So sollen in den Kultur-, Sprach- und Geisteswissenschaften die Studienplätze um 58 Prozent abgebaut und die Zahl der Professuren halbiert werden. „Die Behörde verschweigt konsequent, dass dadurch Fächer über die Klinge springen“, kritisiert der Dekan. Zwar stelle Senator Dräger keine konkreten Fächer zur Disposition. Reudenbach bitter: „Den Kannibalismus überlässt er uns.“
Setzt Dräger sich durch, entfielen im Bereich Kulturgeschichte und Kulturkunde fünf der derzeit sieben Fächer, darunter Ärchäologie und Ethnologie. Übrig blieben Historische Musikwissenschaften und Kunstgeschichte. Und dort, erwartet Reudenbach, „schnellt wegen des Studienplatzabbaus der Numerus Clausus exorbitant hoch“. Dabei gäbe es schon heute viermal mehr Bewerber als Plätze.
Ebenso drastisch wären die Folgen für die Sprach-, Literatur- und Medienwissenschaften. Dort würden Skandinavistik, Finno-Ugristik sowie Ost-, West- und Südslawistik gestrichen. Auch Sprachlehrforschung und Gebärdensprache sowie Medienkultur, Journalistik und Kommunikationswissenschaften entfielen. Im Fachbereich Geschichte und Philosophie müsste Letztere aufgegeben und zwei von fünf Bereichen in der Geschichtswissenschaft geschlossen werden, darunter Europäische Geschichte. In der klassischen Philologie blieb nur die Lehrerbildung in Latein.
In den Asien-Afrika-Wissenschaften blieben von 13 Fächern mit der Sinologie und der Japanologie gerade mal zwei. Bundesweit einmalige Angebote wie Vietnamistik, Thaiistik und Athiopistik, aber auch Islamwissenschaften und Turkologie würden ausgelöscht. „Asien und Afrika bestimmen Weltwirtschaft und Weltpolitik in immer stärkerem Maße“, warnt Dekan Michael Friedrich, „Kenntnisse über die dortigen Gesellschaften sind wichtiger denn je.“ Würde die HIS-Studie umgesetzt, „trete ich als Dekan zurück und denke vielleicht sogar an Kündigung“.
Ob es dazu kommen muss, wird sich bald zeigen. Dräger hat die HIS-Rechnung seinen Leistungsvereinbarungen mit der Uni für 2005 zugrunde gelegt. Am 19. September tagt der Hochschulrat der Uni. Das von Dräger installierte Gremium muss den Vereinbarungen zustimmen.