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Seminar in Perpektive

■ Celie Dahl für Anfänger und Fortgeschrittene

Die Präsentation von Celie Dahls Arbeit im Künstlerhaus Bethanien gehört zu einem neuen Ausstellungstypus. Layout der Einladungskarten, Kataloggestaltung und Ausstellungsort werden aufeinander bezogen. Der begehbare Ausstellungsraum ist ein Teil unter anderen und nicht mehr — wie bei einer konventionellen Aussellung — Zentrum; Zentrum ist dort, wo Dahls multimedialer Arbeit gedacht wird. Alles eine Frage der Perspektive; dies ist Celie Dahls Thema.

Dahl bereitet die Interessierten mit der Einladungskarte auf einen Grundkurs in Perspektive im Allgemeinen vor, läßt ihn kunsthistorisch durch Angela Stepken im Katalog absichern und illustriert ihre Idee am Beispiel zweier städtebaulicher Fluchtpunkte Berlins. Sie geht ganz simpel und allgemeinverständlich vor, zitiert eine Alltagserfahrung: »Da geht einer durch eine Straße mit Bäumen. Die Straße wird in der Ferne schmal und die Bäume niedrig. Da läuft er die Straße hinunter und blickt zurück; jetzt ist dort die Straße eng und die Bäume sind klein.«

Diese Verkehrung kennt jeder. Die sichtbare Welt scheint auf ein zentrales Subjekt hin geordnet. Entsprechend hatten die Maler seit der Frührenaissance den Bildraum konstruiert; gerichtetes Hintereinander in einem statischen Raum — Fluchtpunkt — Zentralperspektive. Das war nicht nur ein technischer Trick, um Realität vorzuspiegeln, sondern ebenso die Repräsentation eines Bewußtseins, das die Welt überblicken, erfassen und beherrschen kann. Die Zentralperspektive hielt, was sich den Augen zeigt, auf Distanz und ermöglichte die Illusion, ganz drin und dabei zu sein — wie noch heute Kino und TV. Dies gelingt, wenn das sehende Subjekt die Bedingungen übersieht, die den Blick ermöglichen; daraus ergibt sich eine Blindheit und Macht.

Celie Dahl verwirrt dieses Blickschema. Sie setzt zwei getrennte Fluchtpunkte: der Blick spaltet sich. Sie fächert jeden Fernblick zu einem Mikroskopblick auf: er bewegt sich vom Wiedererkennbaren ins Unkenntliche. Dadurch gewinnt der Raum eine gewisse Dynamik, und die BetrachterInnen sind im Spiel, nicht mehr souverän außen vor. Es lohnt sich, bevor man den Raum betritt, kurz an der Tür stehen zu bleiben; dann ist der Raum ein Bild. Wer hineingeht, wird dessen Bestandteil und die Überschaubarkeit hört auf.

Dahl bezieht sich als Analytikerin des Raumes auf eine Sehweise, die mit Cézanne für die Kunst zu Ende ging, im Alltagsverhalten aber noch immer Gewohnheit ist. Diese Kluft rechtfertigt ihr didaktisches Vorgehen. So steht man z.B. unter dem fast vier Meter hohen Abbild der Siegessäule und sieht in der Ferne, wie sie riesig vergrößert unter dem Mikroskop aussieht. Diese Verkehrung ist nicht mehr symmetrisch; es ist das Gegenteil. Steht man in der Raummitte und sieht die Ordnung des Perspektivenwechsels, entspricht jeder Blickpunkt dem selben Objekt, jede Einstellung einem anderen Maßstab, jeder Standpunkt einer Ausgrenzung. Objektiv ist in diesem Raum nur die absolute Relativität jeder Position. Wer sieht, wie er beim Sehen gesehen wird, kapiert das sofort.

Dahl baut einen Raum, der der gegenwärtigen Welt mit neuen Voraussetzungen begegnet. Sie geht von einer totalisierenden Idee aus und setzt — jenseits des Beliebigen — die Erfahrung der Relativität dagegen. Daraus ergibt sich eine Raumordnung, die nicht hierarchisch, sondern (je nach Standpunkt) neben- , hinter-, gegeneinander gegliedert ist. Der Horizont glänzt schwarz verhangen. Diese enthierarchisierende, a-topische Konstruktion ist ästhetisch; lebenspraktisch wäre sie — nach Maßgabe der ruppigen Verhältnisse hier — mit Blindheit geschlagen.

Celie Dahl gehört zu einer neueren Generation von KünstlerInnen, die den Ort, an dem sie leben und arbeiten, nach dessen Voraussetzungen, Regeln, Übereinkünften befragen. Das Sehen allein genügt für die BesucherInnen nicht. Der Raum erhellt sich erst, wenn man ihn verlassen hat und er vorstellbar geworden ist. Peter Herbstreuth

bis 18.11. im Künstlerhaus, Mariannenplatz, 1-36, tägl. 14-19 Uhr

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