piwik no script img

Seltsame Regierungs- Mathematik

■ betr.: „Arbeit soll billiger sein“, taz vom 26.3. 97

Die Forderungen von BDA- Präsident Dieter Hundt sind eine Verhöhnung für alle Beschäftigten, die in diesem Land mit ihren Steuern und Abgaben Staats- und Sozialkassen füllen. Sollten sie durch Krankheit, Arbeitslosigkeit oder Alter selbst auf Sozialleistungen angewiesen sein, werden sie mit immer weniger Geld auskommen müssen. Hundts Vorschläge sind zudem ein Schlag ins Gesicht für alle, die zur Zeit soziale Leistungen empfangen. Sie werden als die eigentlichen Verursacher der Finanzkrise hingestellt. Dabei liegen die Tatsachen anders. [...]

Statt der Arbeitslosigkeit werden seit Jahren die Arbeitslosen bekämpft, mit immer tieferen Einschnitten in die Arbeitslosenversicherung. Helmut Kohl hat seit seiner Regierungsübernahme 1982 immer wieder verkündet, die Arbeitslosigkeit halbieren zu wollen. Damals waren zwei Millionen Menschen ohne Arbeit – mittlerweile sind es bald fünf Millionen. Seltsame Regierungsmathematik. Notwendig wäre es, nun vehement und massiv den Beitrag der Arbeitgeber zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit einzufordern. Doch nichts geschieht.

Wir brauchen vor allem eines – echte und tiefgreifende Reformen. Das Sozialversicherungssystem muß grundlegend umgebaut werden. Eine Wertschöpfungsabgabe tut not, damit endlich der Ertrag und nicht die Arbeit besteuert wird. Der Arbeitgeberanteil an den Sozialversicherungen würde dann nach einer Kombination aus Beschäftigungszahl und Ertrag bemessen. Personalintensive und daher verhältnismäßig „teure“ Unternehmenszweige wie Handwerk und Dienstleistung hätten geringe Abgabenlast zu tragen. Betriebe mit hohen Gewinnen und relativ wenig Personal, wie in der Finanz- und Versicherungsbranche sowie der Energieversorgung und der Telekommunikation, müßten höhere Abgaben zahlen. Damit würde Arbeit billiger werden, und dies hätte positive Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt. Denn das Grundproblem der zunehmenden Schwierigkeiten liegt in der unglaublich hohen und seit Jahren steigenden Arbeitslosigkeit, die alle sozialen Sicherungssysteme überlastet und die alle bisherigen Reformen in rasantem Tempo eingeholt hat. [...] Peter Wolters, Meerdorf

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen