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Archiv-Artikel

Seltener Fall von Opferschutz

Menschenrechtler begrüßen, dass eine Frau aus dem Hochsauerland wegen posttraumatischer Störungen nicht abgeschoben wird. Sie fordern, Folteropfern in Deutschland besser zu helfen

VON DIRK ECKERT

Mit Erleichterung reagierten gestern Flüchtlingsorganisationen auf den Entscheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge. Eine Frau aus dem Hochsauerlandkreis darf wegen psychischer Erkrankung nicht abgeschoben werden. „Das ist wunderbar“, freute sich Annegret Rasch von der Flüchtlingsberatungsstelle der Diakonie Meschede. „Entscheidungen wie diese sind viel zu selten“, sagte Knut Rauchfuss, Arzt bei der Medizinischen Flüchtlingshilfe in Bochum.

Der Fall der kurdischen Familie aus Bestwig hatte letztes Jahr für Schlagzeilen gesorgt. Bei einem nächtlichen Versuch, die Familie abzuschieben, war der Ehemann vom Balkon gesprungen und hatte sich dabei schwer verletzt. Die Familie ging juristisch gegen den Abschiebebescheid vor, da der Ehefrau posttraumatische psychische Störungen ärztlich bescheinigt sind.

Dass die Erkrankung nun berücksichtigt wurde, freut Flüchtlingshilfsorganisationen. In weniger als zwei Prozent aller Fälle würden überhaupt Abschiebehindernisse anerkannt, sagte Andrea Genten, Vorstandsmitglied im Flüchtlingsrat NRW. „Medizinische Gründe, aber auch faktische Integration werden nicht anerkannt.“

Genten verweist auf den Fall eines nigerianischen Asylbewerbers mit fortgeschrittener HIV-Infektion. Das Verwaltungsgericht Münster hatte seine Klage gegen die Abschiebung am 24. Mai abgewiesen. Zwar hatte das Uniklinikum Essen dem Mann bescheinigt, dass ein Abbruch seiner Therapie „zu einem Fortschreiten der Erkrankung bis hin zu Aids und Tod führen“ würde. Das Gericht befand aber, dass sich sein Gesundheitszustand in Nigeria wegen der dortigen „mangelhaften medizinischen Versorgung“ zwar verschlechtern werde, mit einem schnellen Tod jedoch nicht zu rechnen sei. Daher stehe der Abschiebung nichts im Weg.

Mit der Anerkennung von Traumatisierungen tun sich deutsche Behörden nach Einschätzung von Menschenrechtlern besonders schwer. „In der Regel wird nur die physische Transportfähigkeit untersucht“, berichtet Rauchfuss. „Traumatisierungen finden keine Berücksichtigung.“ Seine Forderung: Deutschland muss endlich das Istanbul-Protokoll anerkennen, eine von Therapiezentren für den UN-Hochkommissar für Menschenrechte erarbeite Richtlinie zum Umgang mit Folteropfern.

Für die Frau aus Bestwig im Hochsauerland und ihre Familie ist mit der Entscheidung des Bundesamtes ein jahrelanger Rechtsstreit zu Ende. „Die Ausländerbehörde wird nun das Aufenthaltsrecht erteilen müssen“, sagte ihr Anwalt Michael Titze. Eine therapeutische Behandlung in Deutschland ist bereits in Aussicht. Ihr Mann kann weiter seiner Arbeit in einer Gärtnerei nachgehen. Und auch die Kinder müssen nicht mehr fürchten, abgeschoben zu werden. Sie sind übrigens in Deutschland geboren.