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Archiv-Artikel

DER FALL ROBBE ZEIGT DAS GANZE DILEMMA DER SPD Selbstmörderische Ratlosigkeit

Es tut sich Seltsames im Bundestag: Viele SPD-Abgeordnete benehmen sich derzeit, wie es die Verfassung vorsieht. Sie fühlen sich nur noch ihrer eigenen Meinung verpflichtet und entfleuchen dem Fraktionszwang. Diverse Parlamentarier wollen nicht, dass ihr Kollege Reinhold Robbe der neue Wehrbeauftragte wird. Einige haben Einwände gegen die Person; andere fühlen sich von Fraktionschef Franz Müntefering düpiert, der sich anscheinend ohne Rücksprache für Robbe entschied. Nun wurde gar die offizielle Wahl am nächsten Donnerstag im Bundestag verschoben – es drängt sich die Interpretation auf, dass Müntefering fürchten musste, einige SPDler würden heimlich für den Gegenkandidaten der FDP stimmen.

Der Vorgang ist gleich vierfach erstaunlich. Erstens sowieso: Es passiert sehr selten, dass Abgeordnete von der Fraktionsdisziplin abweichen – besonders wenn die notwendige Kanzlermehrheit mit nur drei Stimmen knapp ausfällt. Es müsste sich also zweitens wenigstens der Anlass für den Aufstand lohnen. Doch die Personalie des Wehrbeauftragten ist eher eine Lappalie. Drittens, ebenfalls überraschend: Durch den Widerstand wird ausgerechnet „Münte“ beschädigt, der bisher als das Maskottchen der Partei galt. Und schließlich verwirrt der Zeitpunkt. Die Wahlen in Nordrhein-Westfalen stehen in knapp drei Monaten an und der Sauerländer Müntefering schien bisher einer der Wenigen zu sein, die dort noch Stimmen für die Sozialdemokraten mobilisieren können. So lässt die Entwicklung im Fall Robbe wohl nur eine Deutung zu: Die SPD-Abgeordneten haben die Wahlen in Nordrhein-Westfalen bereits abgeschrieben. Und genauso offensichtlich lasten sie diese Niederlage ihrer Führung an.

Ausgerechnet in einer Nebensächlichkeit wie der Wahl eines Wehrbeauftragten dokumentiert sich der fundamentale Wandel, der sich in den letzten Wochen ereignet hat: Die Zeit des Wunderglaubens ist selbst in der SPD vorbei. Die Agenda 2010 hielt noch nicht einmal bis 2005. Stattdessen regiert wütende Ratlosigkeit – daran wird auch die Regierungserklärung nichts ändern, die Schröder am nächsten Donnerstag abliefern will.

ULRIKE HERRMANN